075 - Der Spinnenküsser
verschwiegene Nischen, die ziemlich frequentiert wurden.
Die ehemalige Hexe der Schwarzen Familie ließ sich nicht anmerken, wie unbehaglich sie sich fühlte. Seit ihrer Ankunft auf Haiti hatte sie die Ausstrahlung der Dämonen gespürt, doch jetzt wurde sie fast übermächtig. Coco schwindelte. Sie spürte, wie ihr der Schweiß ausbrach. Bis jetzt hatten sie die Dämonen nicht beachtet, sie einfach ignoriert, doch jetzt war es anders. Sie spürte die Blicke fast körperlich. Bösartige Gedanken strömten auf sie ein und überfluteten ihr Hirn. Sie klammerte sich an Harry fest und atmete schwer. Coco wußte, daß sie nicht lange bleiben konnte; die dämonische Ausstrahlung wurde immer stärker. Einige der Dämonen kannte sie persönlich. Nur wenige standen ihr gleichgültig gegenüber; die meisten haßten sie; und sie zeigten ihren Haß offen.
Sie stellte ihr Glas ab, schloß die Augen und kapselte sich für einige Sekunden vollständig von der Umwelt ab. Das brauchte sie, um ihre Kräfte zu sammeln. Als sie die Augen wieder öffnete, war Harry verschwunden. An ihrer aufgeregten Reaktion merkte Coco, daß ihr Harry alles andere als gleichgültig war. Sie blickte sich rasch um, sah ihn aber nirgends. Er konnte nicht weit sein, da sie ja nur einen Augenblick die Augen geschlossen hatte.
Rücksichtslos drängte sich Coco durch die Menge, die ihr nur widerwillig Platz machte. Einige Dämonen lachten ihr spöttisch ins Gesicht. Sie haben irgendeine Teufelei mit Harry vor, dachte Coco entsetzt.
Und da sah sie ihn. Er lehnte an einer Säule, etwa zwanzig Schritte von ihr entfernt. Zwei als Hexen verkleidete Dämonen standen vor ihm. Harrys Gesicht war maskenhaft verzerrt, seine Augen waren glasig. In der rechten Hand hielt er ein Glas, das er an seine Lippen gesetzt hatte. Die Hexen kicherten, als er langsam die blutrote Flüssigkeit trank. Das Glas war bereits halbleer.
Coco blieb keine andere Wahl. Sie versetzte sich in den rascheren Zeitablauf, rannte zu Harry, riß ihm das Glas aus der Hand, schüttete die Flüssigkeit auf den Boden, gab Harry das Glas wieder und kehrte zu ihrem Ausgangspunkt zurück. Dann ließ sie die Zeit normal ablaufen. Die beiden Hexen sahen verwundert das leere Glas an. Coco stürmte wutentbrannt auf die beiden zu; wollte auf sie losgehen, überlegte es sich aber.
„Wir lassen dir deinen Freund", sagte eine der Hexen kichernd. „Viel Spaß mit ihm!"
Die beiden zogen sich tuschelnd in die Menge zurück.
Coco nahm Harry Glas aus der Hand und bewegte ihre Hände vor seinem Gesicht. Der Blick seiner Augen änderte sich nicht. Er war hypnotisiert worden.
Einige Dämonen bildeten einen Halbkreis um sie. Coco blickte haßerfüllt in die grinsenden Fratzen. Sie wußte, daß sie hier im Saal keine Chance hatte, Harry aus der Trance zu wecken; die Dämonen würden es verhindern.
Coco griff nach Harrys rechtem Arm und versuchte, ihn mit sich zu ziehen. Doch er blieb wie eine Statue stehen und bewegte sich nicht einen Zentimeter. Coco gab für den Augenblick ihre Bemühungen auf. Sie lehnte sich neben Harry an die Säule und grinste die Dämonen spöttisch Sie hatte richtig vermutet. Als die Dämonen merkten, daß Coco nichts unternehmen würde, wurde ihnen das Spiel langweilig. Immer mehr wandten sich ab, bis nur noch einer vor Coco stand, aber auch ihn interessierte das Spiel nach einigen Minuten nicht mehr.
Jetzt hatte Coco Gelegenheit, Harry aus seinem Trancezustand zu lösen; und es gelang ihr.
„Wir gehen", sagte Coco rasch und zog Harry mit sich.
Höhnisches Gelächter folgte ihr.
„Weißt du, was geschehen ist?" erkundigte sich Coco, als sie den Gang erreichten, der zu ihren Zimmern führte.
„Ja", sagte Harry undeutlich. „Zwei Mädchen fixierten mich. Ich war wie gelähmt. Sie zogen mich mit sich und zwangen mich, ein Glas auszutrinken."
Coco nickte und öffnete die Zimmertür. .
„Geh in die Toilette, Harry!" sagte Coco. „Versuch zu brechen! Steck dir den Finger in den Hals!" Harry gehorchte, während Coco einen Koffer öffnete und herumkramte. Sie holte zwei Fläschchen heraus, griff nach einem Glas und mischte die Flüssigkeiten miteinander. Dann schüttete sie etwas Wasser dazu.
Harry wankte mit bleichem Gesicht aus dem Badezimmer.
„Es geht nicht", flüsterte er. „Ich habe es versucht. Kein Erfolg."
„Schade", sagte Coco. „Trink das! Es wird etwas die Wirkung der Droge mildern."
Sie reichte Harry das Glas, der die bernsteinfarbene, ölig schmeckende
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