075 - Der Spinnenküsser
Coco.
Coco versetzte sich in den rascheren Zeitablauf. Sie lief zum Fort, blieb kurz erschöpft in der Eingangstür stehen, schloß dann das Tor und ging schwer atmend in ihr Zimmer.
Harry schlief noch immer. Er lag zusammengerollt wie ein Igel im Bett. Sein Körper war naß.
Coco wischte ihn trocken, rauchte eine Zigarette und trank eine Dose Bier. Langsam entspannte sie sich. Sie machte sich Vorwürfe, daß sie Beatriz nicht hatte helfen können. Sie hatte sie in den Tod geschickt, und der Gedanke, daß es damit einen Dämon weniger gab, hatte nur wenig Tröstliches für sie. Ihre Wut auf den Spinnenküsser steigerte sich. Sie würde alles daransetzen, um ihn zu töten.
Coco drückte die Zigarette aus und strich sich müde über die Stirn. Sie fühlte sich völlig leer. Ihre Fähigkeit, sich in einen rascheren Zeitablauf zu versetzen, war zwar sehr nützlich, kostete sie aber unglaublich viel Substanz.
Sie schlief eine halbe Stunde lang. Harry bewegte sich noch immer nicht.
Coco hatte noch eine Verabredung - mit Olivaro. Sie blickte auf die Uhr. Es war kurz vor zwei.
Niemand war ihr entgegengekommen. Olivaros Zimmer lag im zweiten Stock. Sie befolgte seinen Wunsch und versetzte sich in den rascheren Zeitablauf. Niemand konnte bemerken, daß sie das Zimmer Nummer 666 betrat.
Olivaro saß entspannt auf einer Ledercouch und starrte Coco an. Sein Gesicht war ein weißer Fleck, nur die dunklen Augen waren zu sehen.
„Ich freue mich, daß du meiner Einladung gefolgt bist. Coco", sagte der ehemalige Herr der Finsternis. „Setz dich!"
Coco setzte sich ihm gegenüber, lehnte sich zurück und überkreuzte die Beine.
„Darf ich dir etwas anbieten? Einen Kaffee vielleicht? Du siehst müde aus."
„Nein, danke. Zur Sache, Olivaro! Spar dir deine langatmigen Erklärungen! Ich will möglichst bald wieder aus diesem Zimmer raus. Deine Gegenwart ist mir nämlich äußerst unangenehm."
„Das beruht auf Gegenseitigkeit", sagte Olivaro. „Dich so lebendig vor mir zu sehen, erfüllt mein Herz nicht mit Freude. Viel lieber würde ich dich in einem Sarg sehen - mit zerschnittener Kehle." „Spar dir deine Wunschträume für deine einsamen Nächte auf, Olivaro! Ich würde dich auch lieber tot sehen. Wir wissen, wie wir zueinander stehen. Was willst du von mir?"
„Deine direkte Art hat mir nie gefallen", brummte Olivaro. „Du fällst immer mit der Tür ins Haus. Wie geht es Dorian?"
„Ich weiß es nicht", antwortete Coco.
„Sieh einmal einer an! Ihr werdet doch nicht böse aufeinander sein?" Olivaros Stimme tropfte vor Hohn.
„Zur Sache, Olivaro!"
„Schon gut, schon gut", sagte Olivaro beschwichtigend. „Du bist in Gefahr, Coco."
„Rührend, wie du dich um mich kümmerst", spottete Coco.
„Der Spinnenküsser ist hinter dir her. Du hast dich mit Barrabas Abadie verbündet. Ein schwacher Verbündeter, der noch dazu nicht ganz ehrlich spielt."
„Ich traue ihm auch nicht. Ich traue keinem aus der Schwarzen Familie."
„Das ist dein gutes Recht. Trotzdem biete ich dir meine Hilfe an. Du gehst dabei kein Risiko ein. Laß mich aussprechen. Wie schon gelegentlich in der Vergangenheit, verbinden uns gemeinsame Interessen. In diesem Fall ist es der Spinnenküsser."
Coco blickte Olivaro überlegend an. „Ich vermute, daß jemand daran interessiert ist, daß der Spinnenküsser getötet wird."
„Du sagst es", stimmte Olivaro zu. „Niemand wird seinen Tod betrauern."
„Weshalb soll er sterben?"
„Da gibt es viele Gründe, die dich nicht zu interessieren brauchen. Er ist unangenehm aufgefallen. Ich könnte ihn ja selbst erledigen, aber das würden einige Leute nicht besonders schätzen. Du wirst ihn für mich töten."
„Du irrst dich, Olivaro", sagte Coco kühl. „Ich werde ihn töten, da er mich bedroht. Nur aus diesem Grund."
„Soll mir auch recht sein." Olivaro lachte. „Ich habe etwas für deinen Schutz vorbereitet."
Er klatschte in die Hände, und ein Wandschrank öffnete sich. Ein mumifiziert wirkender Mann trat ins Zimmer. Er war uralt und stank erbärmlich.
„Was willst du mit diesem Zombie?" fragte Coco.
Der Untote blickte Coco an. Seine Augen waren leblos.
„Er wird dein Beschützer sein."
„Danke. Darauf kann ich verzichten."
„Tonnere", sagte Olivaro zu dem Zombie, „sieh dir das Mädchen genau an! Du wirst ihr Beschützer sein. Du wirst ihr folgen, sobald sie das Fort verläßt! Hast du mich verstanden, Tonnere?"
Der Zombie nickte.
„Ich will seinen Schutz nicht",
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