0750 - Ich bin dein Henker, Sinclair!
Antwort tief durch. »Kann sein, dass ich mir alles einbilde. Es muss aber nicht sein, John. Ich habe das Gefühl, als würde dieses Bild etwas ausströmen.«
»Eine Botschaft?«, versuchte ich ihm zu helfen.
»Auch, John, ist aber nicht richtig.« Er knetete seine Hände und schluckte. »Von ihm strahlt etwas aus. Etwas, mit dem ich nicht so leicht fertig werde.«
»Was ist es denn?«
Harry trank einen Schluck Kaffee und stellte die Tasse sacht wieder ab. »Wenn ich dir das sage, wirst du mir kaum glauben, aber ich habe nun mal den Eindruck. Dieses Bild hier hat etwas an sich, das bei mir sehr stark rüberkommt. Für mich sondert es eine Kälte ab. Ja, du wirst vielleicht lachen, aber es ist tatsächlich eine Grabeskälte, die mir davon entgegenströmt.«
»Das kann ich nicht behaupten.«
»Eis John«, flüsterte er mir über das Gemälde hinweg zu. »Das ist wie Eis. Aber nicht wie ein normales Eis, sondern wie etwas anderes. Wie das Eis aus einer anderen Welt. Wie Totenhände, wie Klauen von einem Monster, die sich unsichtbar auf meine Brust und auf mein Gesicht gelegt haben. Mit diesem Bild verbinde ich persönlich einen ganz bestimmten Schrecken, wenn du verstehst.«
Ich hatte mir eine Zigarette angesteckt und schaute den Rauchwolken hinterher. »Nicht genau, Harry. Da musst du schon etwas konkreter werden.«
»Leichenkälte…«
Ich hob die Schultern.
Er versuchte es noch einmal. »Die Kälte einer toten Seele. Einer – sagen wir - Vampirseele.«
Ich schwieg und stäubte die Asche der Zigarette ab. Die Kälte einer Vampirseele, hatte der gute Harry gesagt. Ich hütete mich, darüber zu lächeln. Wenn ich ehrlich gegen mich selbst war, dann konnte ich dies sogar nachvollziehen.
»Nun, John?«
»Nicht schlecht gedacht, wirklich. Das könnte sogar stimmen.«
»Dann tippst du auch auf einen Vampir?«
Ich wiegte den Kopf. »Im Prinzip schon. Seine Kleidung, seine Haltung, all dies deutet auf einen Vampir hin, obwohl mir natürlich die letzte Sicherheit fehlt.«
»Mir auch, deshalb glaube ich dir das gern. Ich habe mich nur von meinen Gefühlen leiten lassen und wundere mich selbst darüber, wie sensibel ich geworden bin. Früher hätte ich ein derartiges Bild angeschaut und mit den Schultern gezuckt, um danach wieder zur Tagesordnung überzugehen. Heute nicht mehr. Dieses Bild stößt mich ab. Nicht vom Motiv her, nein, es gibt da noch einen Hintergrund, den ich nicht sehe, aber sehr wohl ahne. Ich weiß nicht, ob ich mich da verständlich genug ausgedrückt habe, aber das sind eben meine Gefühle. Grabeskälte, die mich innerlich schaudern lässt. Mir ist gewesen, als würde meine Seele einfrieren. Ich habe das Bedürfnis gehabt, mich zu bewegen, deshalb bin ich auch aufgestanden. Ist es dir nicht so ergangen?«
»Nein, nicht direkt, Harry. Obwohl ich zugeben muss, dass dieses Gemälde schon einen verdammt düsteren Touch hat. Die richtige Ausstrahlung für eine Gänsehaut, würde ich sagen.«
»Einverstanden.«
»Aber es ist nur ein Bild.«
Harry runzelte die Stirn. »Warum betonst du das Wort so stark?«
»Weil ich mit Bildern meine eigenen Erfahrungen gesammelt habe und weiß, dass sie manchmal Eingänge oder Tore zu anderen Welten sind. Das ist schon vorgekommen, hierbei aber nicht.«
»Hast du es mit deinem Kreuz getestet?«
»Ja. Es hat sich nichts getan. Es ist nur ein Bild, Harry. Wirklich nur ein Bild.«
»Du gestattest trotzdem, dass ich anders darüber denke?«
»Natürlich, Harry. Vielleicht musst du das sogar.«
»Wie kommst du darauf?«
»Weil du nicht anders kannst, verstehst du? Du hast doch Nachforschungen angestellt, als ich dir das Bild beschrieben habe. Bist diesen Dingen nachgegangen und hast auch einen Erfolg errungen. Wir kennen den Namen der Burg.«
»Ja, Burg Maitland.«
»Genau. Dann müsste, wenn das alles stimmt, dieser Mann oder auch dieser Vampir Maitland heißen.«
Der Kommissar rieb über seine Nase. »Ja, da hast du Recht. Nur muss ich dich enttäuschen. Ich habe nicht die geringste Spur von diesem Maitland gefunden. Keiner konnte mir sagen, was mit diesem Mann ist und ob er noch lebt.«
»Aber das kann ich nicht glauben. Ein derartiges Bauwerk hat doch eine Vergangenheit. Da muss es doch Unterlagen über die Besitzer geben. Irgendetwas, versteckt in Archiven…«
»Nein. Du vergisst, dass wir hier lange im Dunkeln gelebt haben. Da ist viel zur Seite geschafft worden, glaube mir.«
Ich lehnte mich zurück und schlug die Beine übereinander. »Sorry,
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