0753 - Die Blutbuche
spie es wieder aus.
In der Zwischenzeit hatten immer mehr Arme den Boden verlassen. Er war völlig aufgewühlt worden und hatte dem zähen Wurzelwerk den nötigen Platz verschafft.
Das Ziel war klar.
Ohne daß Betty es bewußt bemerkt hatte, war sie bereits umklammert worden. Und die andere Kraft war so mächtig, daß Betty von ihr in die Höhe gehoben wurde.
Sie schrie.
Zum erstenmal war ihr bewußt geworden, in welch einer Lage sie sich befand. Sie klemmte nicht nur fest, diese andere Kraft würde ihr auch eine Flucht nicht erlauben.
Sie sollte bestraft werden.
Niemand hörte ihre Schreie. Unter dem mächtigen Dach der Blutbuche erstickten sie zu dumpfen Echos.
Die harten Wurzelstränge spielten mit ihr. Sie machten ihr klar, wer Herr der Lage war. Betty hing in ihren Fängen. Sie wurde gedreht, herumgewälzt und angehoben, bis sie eine bestimmte Position erreicht hatte und dort zur Ruhe kam.
Schmutz und fauliges Blattwerk hatten ihren Körper mit einer Schicht bedeckt. Selbst die Gesichtshaut war kaum noch zu erkennen, weil alles unter dem Schmutzfilm verschwand. Der Lehm klebte auch in den Augen und nahm ihr einen Großteil der Sicht. Kleinere Steine hatten mit ihren spitzen Kanten die Haut aufgerissen und winzige Wunden hinterlassen. Betty Carr kam sich selbst vor wie ein Monstrum, sie jammerte, sie hatte Mühe, tief durchzuatmen, denn die Kraft der zähen Wurzelstränge verstärkte sich.
Wieder vernahm sie ein Grollen. Diesmal klang es anders, als wären mächtige Fäuste dabei, gegen irgendein Hindernis zu schlagen. Die Wurzelstränge streckten sich. Sie richteten sich auf, sie schoben den Körper in die Höhe.
Dann drehten sie ihn.
Das Rumoren verstärkte sich. Eine schaurige Musik, die ein mörderisches Finale ankündigte.
Gleichzeitig wurde der Körper gedreht. Betty Carr lag auf der Seite, die Augen hielt sie weit aufgerissen. In ihren Pupillen lag die kalte Angst.
Im nächsten Augenblick explodierte dicht vor ihr ein Wall aus Lehm und Steinen.
Etwas raste daraus hervor.
Sie riß die Augen auf.
Das Herz schlug nicht mehr.
Eine Täuschung, Betty war nicht tot. Eine grausame Macht sorgte dafür, daß sie ihren Tod mitbekam. Wie durch ein Wunder konnte sie ihren rechten Arm wieder bewegen.
Abwehrend streckte sie ihn vor.
Was ihr dann jedoch entgegenrammte, konnte sie nicht mehr aufhalten.
Aus den Tiefen des Wurzelwerks war er hervorgeholt worden. Ein gewaltiges Etwas, ein Rammbock, ein Stamm oder starker Ast, der sich vorn zu einer Spitze zusammendrückte.
Vampire wurden gepfählt! schoß es ihr durch den Kopf.
Aber nicht nur sie.
Diesmal war es ein Mensch.
Der letzte Schrei in ihrem Leben endete in einem fürchterlichen Röcheln. Betty Carr spürte noch die Berührung, dann nichts mehr. Die Waffe und deren Kraft zerrissen sie und zerrten sie hinein in den finsteren Schlund des Todes.
Wieder einmal hatte die Blutbuche ihrem Namen alle Ehre gemacht…
***
Amos Carr wußte nicht, ob er sich freuen sollte. Er hatte sich mit John Sinclair unterhalten und entschloß sich schließlich, das Gespräch als einen Teilerfolg zu buchen. Natürlich hätte er es gern gesehen, wenn Sinclair sofort mit zu ihm gefahren wäre, aber das war nicht möglich gewesen. Er hatte sich geweigert.
Verständlich. Am nächsten Tag würde er bei ihm erscheinen, aber nicht allein. Das freute Carr, denn Sinclair schien den Fall doch aus einem sehr realistischen Blickwinkel zu sehen, sonst hätte er sich nicht dazu durchgerungen, seinen Kollegen mitzubringen. Wahrscheinlich hatte ihn die Rinde auf Carrs Hand endgültig überzeugt.
Er konnte nicht behaupten, daß er sich an diese unfreiwillige Veränderung gewöhnt hätte, aber er hatte es geschafft, damit zu leben. Sie behinderte ihn nicht zu stark, und es gab Augenblicke, da hatte er sie sogar völlig vergessen.
In letzter Zeit fielen ihm immer öfter die Ratschläge seines Vaters ein, der davon gesprochen hatte, wie rätselhaft das Leben doch war und daß es den Menschen nicht einmal gelungen war, einen kleinen Ausschnitt davon zu begreifen. Daß vieles noch im Hintergrund verborgen lag und so leicht auch nicht hervorzulocken war, es sei denn, die Menschen würden sich ändern und sich nicht immer auf den Thron setzen und demütiger werden.
Vielleicht hatten sie mal die Krone der Schöpfung werden sollen, doch das war vorbei. Durch ihre Entwicklung hatten sie selbst daran gebastelt, daß es nicht so war.
Jedenfalls hatte sich Amos die Worte seines Vaters
Weitere Kostenlose Bücher