0753 - Die Blutbuche
mit seiner Veränderung. Einen direkten Grund aber konnte er nicht nennen.
Dennoch kristallisierte sich etwas hervor. Diesmal dachte er nicht nur an sein Haus, sondern auch an dessen Umgebung. Und dabei drehten sich seine Überlegungen zwangsläufig um einen bestimmten Ort vor dem Haus. Dort stand die Blutbuche.
Er holte tief Luft. Er lehnte sich gegen die Wand. Dabei berührte er ein kleines Bild. Mit schwankenden Bewegungen schabte es einige Sekunden lang hin und her.
Der Mann stieß sich wieder ab. Er durfte jetzt nicht aufgeben und vor allen Dingen keine Panik aufkommen lassen. Für die folgenden Minuten brauchte er einen klaren Kopf.
Und er benötigte eine Taschenlampe.
Die fand er in der Küche. Unter der Spüle hatte er den Schrank zweigeteilt. Die linke Hälfte beherbergte das Werkzeug, das er immer schnell zur Hand haben mußte.
Die Lampe lag griffbereit. Ihr Stab bestand aus weichem Gummi. Da er ihn mit der rechten Hand umklammerte, war er auf seiner Fläche überhaupt nicht zu spüren.
Er schaltete die Lampe ein. Der Strahl gab ihm Hoffnung. Als gelbweißer Arm durchstrahlte er die Dunkelheit und wanderte zitternd vor Amos Carr her.
Er wußte genau, daß er in den oberen Etagen nicht nachzuschauen brauchte. Das Gefühl sagte ihm einfach alles. Seine Frau war nicht mehr da. Er würde sie auch nicht tot dort oben finden. Es war alles okay, alles in Ordnung, er würde…
Plötzlich stiegen ihm Tränen in die Augen. Erst als er im Freien stand, gelang es ihm, sie nach unten zu schlucken. Die Einsamkeit vor dem Haus legte sich wie eine Decke über ihn. Der Himmel war dunkel und trotzdem hell, weil der Vollmond ihm einen besonderen Anstrich verpaßt hatte.
Unter ihm sah er seine kleine Welt wie eine Kulisse. Sehr dunkel, beinahe drohend und abweisend, jedenfalls empfand Amos Carr in diesen Minuten so.
Er ging weiter und lauschte dem Echo seiner eigenen Schritte. Jeder Tritt hinterließ auch Stiche in seinem Kopf. Es war für ihn einfach schlimm. Zur seelischen Qual gesellte sich noch die körperliche hinzu. In diesen Augenblicken kam einfach alles zusammen, und es würde sich auch so schnell nicht ändern.
Bis zu seinem Ziel waren es nur ein paar Schritte. Sie kamen ihm trotzdem weit vor. Die Blutbuche stand dort als Drohung. Sie schien jeden zu warnen, der sich ihr näherte.
Sie war kein einzelner Baum im Wald, trotzdem wirkte sie so.
Mächtig, allein gelassen, von einem besonderen Wuchs, was nicht nur die äußere Form des Baumes anging, sondern auch den wegen des dichten Blatt- und Zweigwerks nicht sichtbaren Stamm sowie das wahnsinnige Wurzelwerk, für das er keine Erklärung hatte. Es waren zahlreiche Arme, die meisten davon tief im Boden vergraben, aber einige ragten auch aus ihm hervor. Für Amos Carr waren sie wie ein Gerüst oder ein Skelett, das es geschafft hatte, seinen unterirdischen Platz zu verlassen, aber nicht mit seiner gesamten Größe.
Vor ihm zitterten die Blätter, weil doch ein leichter Nachtwind über das Land wehte. Das leise Rascheln erinnerte ihn an zahlreiche Stimmen, die tief unter dem Blattwerk ihren Ursprung hatten, als wollten sie ihn begrüßen.
Um an den Stamm heranzukommen, mußte er die Blätter mit ihren weichen Zweigen zur Seite schieben, was er auch tat. Wieder raschelte es dabei, und als er die Blätter berührte, hatte er den Eindruck, als wären diese fettig geworden.
Amos Carr überlegte, ob er seine Taschenlampe einschalten sollte. Er ließ es bleiben und tauchte zunächst einmal so in die bedrückende Dunkelheit.
Ja, es war eine andere Welt.
Nicht nur von der stickigen, feuchten Luft her, die an eine Dunstglocke erinnerte. Er konnte die Welt nicht erklären, sie wirkte wie abgeschnitten von der anderen, und aus ihr hervor ragte in der Mitte etwas Mächtiges, Breites.
Der Stamm…
Uralt, knorrig, hart und trotzdem weich. In seinem Innern steckte Leben, da hatte sich etwas nicht Erklärbares manifestiert, das wußte Amos Carr genau.
Er hatte die Wunde berührt, und der Saft des Stammes war über seine Handfläche geflossen.
Saft wie Blut.
Dick und riechend.
Auch jetzt roch es so seltsam…
Er dachte an den Namen Blutbuche, und das Wort Blut wollte ihm nicht aus dem Kopf.
Die Blutbuche hatte mit dem Blut eines Menschen nichts zu tun, aber hier roch es danach.
Er wollte es zunächst nicht glauben, roch noch einmal daran und stellte fest, daß er sich nicht geirrt hatte.
Es roch nach Blut.
Sogar nach frischem…
Er schluckte, konzentrierte
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