0753 - Die Blutbuche
beobachteten, die er allerdings nicht kontrollieren konnte.
Und das machte ihn fertig.
Er schluckte, schmeckte den Schleim bitter wie Galle und zwang sich dazu, seine Gedanken in eine bestimmte Richtung zu lenken. Er wollte etwas unternehmen.
Wenn er mehr über die Vorgänge erfahren konnte, dann möglicherweise durch diese Figur, die eigentlich so nichtssagend aussah, die er trotzdem anfassen wollte.
Das kostete ihn Überwindung, denn er betrachtete immer wieder die Spitze der Lanze.
Sie zeigte auf ihn.
Sie würde auch weiterhin auf ihn zeigen…
Amos Carr duckte sich. Er ging einen kleinen Schritt nach rechts, dann wieder vor. Dabei schaute er ununterbrochen in das Gesicht der kleinen Gestalt.
Zuckte es dort?
Er schüttelte den Kopf, weil er es nicht genau hatte sehen können. Oder bewegten sich die Augen?
Er schaute noch einmal hin.
Ja, sie hatten sich bewegt. Nur der Kopf rührte sich nicht um einen Millimeter, aber die Augen verfolgten ihn. Also war dieses Wesen von einem Leben erfüllt. Wahrscheinlich konnte es auch sprechen und würde ihm sagen, was mit Betty geschehen war.
Er duckte sich.
Damit wollte er täuschen, um blitzschnell einen Arm vorzustrecken. Nur wenn er das Wesen überraschte, konnte es ihm auch gelingen, es zu fangen. Seine Hand war zudem groß genug, um die Gestalt umklammern zu können.
Ein Griff - und…
Nein, die Gestalt war schneller.
Mit einer wirklich sehr kurz und knappen Bewegung schleuderte sie den Speer vor. Amos sah etwas blitzen und hatte noch Zeit genug, um den Kopf einzuziehen.
Der Speer erwischte ihn trotzdem. Wie eine in der unteren Hälfte heiß gewordene Nadel bohrte er sich durch sein Hemd und tief hinein in das Fleisch seiner Schulter.
Der Schmerz strahlte von einem bestimmten Punkt aus wie eine Sonne. Amos begriff zunächst nichts. Er ging zurück, erreichte den großen Ofen und spürte dessen Handlauf im Kreuz. Dieser Druck stoppte ihn. Hier blieb er stehen und glotzte gegen die Gestalt.
Sie war jetzt waffenlos. Der mit Muskeln bepackte Körper duckte sich, wobei er noch für einen Moment auf der Tischplatte stehenblieb. Dann gab er sich Schwung, wirbelte über die Kante hinweg und erreichte den Boden. Ein kurzes Abfedern noch, eine Drehung, von dort aus einen Sprung in die Höhe, dann die Landung auf der Fensterbank, und erst jetzt fiel Amos auf, daß das Fenster nicht geschlossen war.
Der nächste Sprung katapultierte die kleine Gestalt ins Freie.
Weg war sie!
Amos Carr lehnte noch immer am Handlauf des Kohleofens und dachte darüber nach, ob er geträumt hatte oder nicht. Nein, das war kein Traum gewesen, obwohl ihm die Erklärung fehlte. Der Speer in seiner Schulter sagte ihm genug.
Er steckte dort fest, und Amos traute sich auch nicht, ihn herauszuziehen. Möglicherweise war seine Spitze mit Widerhaken versehen oder auch vergiftet.
Ihm schossen schlimme Gedanken durch den Kopf, während der Schmerz auch weiterhin durch seine Schulter zuckte und sogar den Nacken erreichte, wo er sich wie ein Band um den Hals legte.
Amos taumelte zur Seite. Selbst seine Füße fühlten sich schwer an. Es gelang ihm kaum, sie vom Boden zu heben. Immer wieder schleiften sie über den Boden.
Für einen Moment wurde ihm auch schwarz vor Augen. Der dunkle Nebel war wie ein wallendes Tuch. Er hatte Mühe, nicht zu schreien und zu zittern, er riß sich aber zusammen, und als er wieder einigermaßen klar war, da fand er sich im schmalen Flur wieder.
Er taumelte weiter, betrat den Wohnraum, wo sein Blick auf das Telefon fiel, das ihm vorkam wie ein Schatten, der im Zimmer eingefroren war. Der Anblick brachte ihn auf eine Idee.
Die Uhrzeit war ihm egal. Er mußte versuchen, John Sinclair zu erreichen. Wenn er ihm berichtete, was geschehen war, würde er sicherlich schon früher hier erscheinen.
Die Nummer des Geisterjägers hatte er sich aufgeschrieben. Der Zettel lag in einer Schublade. Mit der linken Hand zog er sie auf, er konnte nur diese schmerzfrei bewegen, denn in der rechten Schulter steckte der verdammte Speer. Er war nicht länger als eine Stricknadel und trotzdem tief in das Fleisch eingedrungen.
Er fiel auf einen Stuhl.
Das Telefon stand dicht neben ihm und so günstig, daß er den Hörer mit der linken Hand fassen konnte. Noch hob er nicht ab, die Hand blieb schwer wie ein Stück Eisen darauf liegen.
Amos lauschte seinem keuchenden Atem nach. Wenn er nach rechts schielte, sah er den blanken Stahl des dünnen Speeres aus seiner Schulter funkeln.
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