0753 - Die Blutbuche
einem breiten Trog und verloren sich unter dem Blattwerk der Blutbuche.
Dicht hinter dem Altar begann ein schmaler Hang. Er war steinig und endete auf einem schmalen Grat, wo zwei Krieger warteten, zwischen denen eine dunkelhaarige Frau stand, die auf mich den Eindruck einer Gefangenen machte.
Jenseits des Grats wuchsen krüpplige Bäume mit knorrigen Ästen und nur wenig Laub.
Ich hatte das Gefühl, als wäre dieses Bild in die Umgebung hineingeschoben worden. Es erinnerte mich an ein Hologramm, an ein dreidimensionales Bild, das man mir als einzigem Zuschauer präsentierte. Mit der eigentlichen Blutbuche hatte es kaum etwas zu tun.
Keine der Gestalten bewegte sich. Sie alle wirkten tatsächlich wie Figuren, die jemand abgestellt und vergessen hatte.
War das ein Stück Aibon?
Bestimmt. Nur vermißte ich die wunderschöne Landschaft, das herrliche Grün, die einzigartige Luft, die so sauber war und so wunderbar schmeckte.
Wenn ich hier gegen Aibon schaute, gegen einen Ausschnitt, dann mußte dieser Ausschnitt aus dem anderen Teil stammen.
Aus Guywanos Reich.
Ob man mich bereits gesehen hatte, konnte ich nicht sagen. Jedenfalls reagierte keines der kleinen Wesen auf meine Nähe, bei ihnen lief genau ihr Part ab.
Sie bewegten sich.
Jeder verließ seinen Platz.
Ich hörte dabei keinen Laut, und einer der Krieger ging auf die halbnackte Frau zu. Er veränderte die Lage seiner Lanze, kippte sie nach vorn. Diese Bewegung konnte nur bedeuten, daß die halbnackte Frau auf dem Steinaltar getötet werden sollte.
Das mußte ich verhindern.
Der Krieger senkte bereits die Lanze.
Ich ging einen Schritt nach vorn.
Sofort befand ich mich inmitten der Szene, und ich spürte auch die andere Magie, die gegen mich floß. Es war ein Kribbeln, das meine Adern erfaßte, das seinen Weg durch die Knochen fand. Ich hatte das Kreuz hervorgeholt und sah es eingehüllt vom grünen Licht des Landes Aibon. Ich war in die Szene hereingetreten wie ein Riese und hätte die Krieger eigentlich erschrecken müssen.
Das aber geschah nicht.
Plötzlich waren sie so groß wie ich. Waren sie gewachsen, oder hatte ich mich verkleinert?
Ich glaubte eher an die letzte Möglichkeit. Wenn die zutraf, dann hatte ich es mit einer verdammten Übermacht zu tun, und meine Chancen waren rapide gesunken.
Darüber nachzudenken, ließ man mir nicht die Zeit, denn der Krieger mit der Lanze wollte die auf dem Altar liegende Frau unbedingt umbringen. Ich hatte nicht einmal das Gesicht des Opfers erkennen können, nur stand ich nahe genug, um den Mord zu verhindern.
Ich fiel dem Krieger in den Arm!
Er war so groß wie ich. Wahrscheinlich war er auch kräftiger, doch die Überraschung hatte ich auf meiner Seite. Ich bog seinen rechten Arm nach hinten, hörte einen leisen Schrei, dann ein Knacken, im nächsten Augenblick ließ er die Lanze fallen.
Ich bückte mich, hob sie auf, kam aber noch nicht wieder hoch, sondern rollte mich zur Seite.
Dann erst schnellte ich hoch, dachte dabei an meine Beretta und zog die Waffe.
Sie standen da, um mich anzugreifen, aber sie taten es nicht, denn der Mann mit der Kapuze hatte den rechten Arm gehoben. Er war so etwas wie der Boß, die anderen gehorchten ihm, und er zeigte auch keine Furcht, denn er kam auf mich zu.
Ich zielte auf seine Stirn.
Er blieb stehen.
Sein Gesicht lag im Schatten der Kapuze. Es war aber dunkler als das eines Menschen. Ich sah seinen Mund nicht, als er sprach.
»Wer bist du?«
»Keiner von euch.«
»Und was willst du hier?«
»Ich mag es nicht, wenn man wehrlose Frauen tötet.«
Er schien meinen Worten zu lauschen. Die anderen rührten sich nicht. Nach einer Weile sagte er, wobei er überhaupt nicht auf das Thema einging. »Du gehörst zu denen, die den Platz hier entweiht haben. Du hast die Blutbuche entweiht. Du bist ein Mensch, und ein Mensch hat ihr auch die Wunde zugefügt. Die Ruhe unseres Landes ist gestört, der Zorn unseres Anführers erweckt. Der alte Opferplatz war wieder zu neuem Leben erweckt worden. Vor langer, langer Zeit schon hat die Blutbuche hier gestanden. Ihr wurden Menschen geweiht, die den großen Fürsten huldigten.«
»Ist es Guywano?«
»Ja, du kennst seinen Namen!«
»Und ob.« Ich nickte. »Ich will dir auch sagen, daß ich ihn nicht mag. Er ist ein Dämon, er hat seine Diener in die Irre geführt, er…«
»Liebt die Buche«, sagte der Kuttenträger. »Guywano hat sie für sich ausgesucht. Er sorgte dafür, daß sie diesen Wuchs bekam, um die
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