0753 - Die Blutbuche
faßte einen Zweig an, auch mehrere Blätter, und ich hatte das Gefühl, den Saft aus ihnen herausquetschen zu können, so fleischig fühlten sie sich an.
Ich erweiterte den Spalt, duckte mich und glitt wieder in die fremde Welt unter dem Baum hinein.
Keinen Schritt mehr weiter. Ich zwinkerte, weil ich mich an die Düsternis und die faulig und feucht riechende Luft gewöhnen mußte. Täuschte ich mich, oder war der Blutgeruch stärker geworden?
Keine Ahnung, es konnte auch Einbildung sein.
Nur ein wenig Sonnenlicht erreichte den Boden. Es hinterließ dort talergroße Flecken, die sich zitternd bewegten, wenn der Wind durch das Blattwerk strich.
Der Vergleich mit einer Höhle oder einem Tunnel war mir ebenfalls in den Sinn gekommen, denn anders roch die Luft in diesen alten modrigen Gängen auch nicht.
Dunkel war der Untergrund. Gleichzeitig aber gab es genügend helle Wurzelstränge der unterschiedlichsten Größe, die sich aus der Tiefe hervorgedrückt hatten und wie lauernd im Erdboden steckten, als warteten sie darauf, jeden Augenblick lebendig zu werden. Damit rechnete ich sogar.
So etwas wäre mir nicht zum erstenmal widerfahren, und ich dachte dabei natürlich an Mandragoro, den mächtigen Umwelt-Dämon.
Er spielte wohl keine Rolle, sondern das rätselhafte Land Aibon, das wieder einmal seine Fühler bis in diese Welt hinein ausgestreckt hatte.
Bestimmt würde ich das Rätsel irgendwann lösen. Ob ich dann in der Lage war, diese Dinge weiterzugeben, das stand in den Sternen. Sicher konnte ich mich hier nicht fühlen.
Mein Ziel war der Baumstamm. Ich ging einfach davon aus, daß sich bei ihm oder in seiner unmittelbaren Nähe das Zentrum der magischen Aibonkraft befand.
Natürlich mußte es ein Motiv dafür geben, weshalb sich Aibon wieder einmal gezeigt hatte. Oder war die Blutbuche ein Weg in diese Welt gewesen? Zählte sie zu den transzendentalen Toren, die sich öffneten, um Überlappungszonen zwischen Magie und Nichtmagie zu schaffen?
Ich wußte es noch nicht, holte mein Kreuz hervor, ließ es auf der flachen Hand liegen und blickte nachdenklich gegen das Metall, bei dem sich nichts tat.
Kein grüner Schimmer, kein Leuchten. Matt und schwer lag es auf meiner Handfläche.
Ich erreichte den Stamm ohne Zwischenfälle. Dabei dachte ich an seine »Wunde«.
Wer hatte sie geschlagen? Wieso klaffte dort der Riß? Da mußte es eine Erklärung dafür geben, doch eine Antwort würde mir der Baum selbst nicht geben.
In der unmittelbaren Nähe des Stammes konzentrierte sich die Dunkelheit am stärksten. Um hier etwas erkennen zu können, vertraute ich auf das Licht meiner Leuchte.
Zuerst schaute ich mir die »Wunde« an.
Sie war wieder zugewachsen. Nur eine Erhöhung auf der Rinde zeugte davon, daß an dieser bewußten Stelle einmal etwas gewesen war. Ich tastete auch weitere Flecken ab, suchte nach Wunden, nach Einschnitten, doch da war nichts.
Ein völlig normaler Baumstamm.
Mir schien es, als hätte er sich gegen mich gesperrt, in sein Inneres zurückgezogen, denn auch dieser Gegenstand konnte durchaus eine Seele haben.
Ich trat wieder zurück.
Der aufgewühlte Boden war sehr weich. An machen Stellen umfing er meine Füße wie Schlamm.
Dazwischen bildeten die Stränge des Wurzelwerks den bizarren Verlauf irgendwelcher Adern, die sich auch immer wieder veränderten, wenn ich den Worten Amos Carrs Glauben schenken durfte.
Er hatte davon berichtet, daß sich die Wurzeln von allein bewegt hatten. Ich konnte mir kaum vorstellen, daß es seiner Phantasie entsprungen war. Hier an dieser geheimnisvollen Blutbuche existierte eine Kraft, die mir eine Gänsehaut über den Rücken laufen ließ.
Ich hörte plötzlich das Zischen.
Zuerst war es so leise, daß ich es kaum wahrnehmen konnte und mich schon sehr darauf konzentrieren mußte. Ich suchte nach einem Vergleich und kam zu dem Entschluß, daß in meiner Nähe durchaus ein Ballon stehen konnte, aus dessen Öffnung Luft entwich.
Zu sehen war nichts.
Das Zischen aber blieb.
Es verlor nur seine Gleichmäßigkeit und wirkte plötzlich abgehackt, manchmal auch unterbrochen, so daß für mich nur eine Lösung in Frage kam.
Stimmen!
Wispernde Stimmen aus dem Unsichtbaren. Vielleicht an der Grenze zwischen Aibon und der normalen Welt. Dort lauerten sie, dort warteten sie darauf, die Grenze überspringen zu können.
Ich ging nach vorn, blieb wieder stehen und schaute mich um. Zu hören waren sie, doch diejenigen, die so direkt flüsterten, entdeckte ich
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