0754 - Als Carmen sich die Köpfe holte
Schädel wie blasses Gestrüpp aus Spinnennetzen. Die Augen sah ich ebenfalls. Sie wirkten wie künstliche Kugeln, die Nase war nur mehr ein Klumpen, der Mund stand offen, als sollte jeden Augenblick der Hauch des Todes hervorströmen. Statt dessen nahm ich einen strengen Leichengeruch wahr, der sich trotz der Kühlung nicht hatte verhindern lassen.
»Ich kannte ihn, da hatte er noch seine Vampirhauer«, hörte ich Carmens Erklärung.
Ich drehte ihr den Kopf zu. Zigarettenrauch wehte mir entgegen. Sie stand da und qualmte.
»Schon gut«, sagte ich.
»Er hat zu den maurischen Vampiren gehört, von denen ich Ihnen berichtete, Mr. Sinclair. Sie haben reagiert, als wollten Sie mir nicht glauben. Deshalb bin ich zu Ihnen gekommen, um Ihnen den Kopf als Beweis zu präsentieren.«
»Das ist Ihnen gelungen.«
»Glauben Sie mir jetzt?«
»Sicher.«
Sie wirkte erleichtert und stäubte die Asche ab. Ein Lächeln huschte über ihre Lippen, aber die Augen blieben hart. »Was Sie mit dem Schädel machen, ist mir egal. Ich habe davon noch weitere sechs in meinem Keller stehen.«
»Möchten Sie etwas trinken?« fragte ich.
»Einen Whisky, wenn Sie haben.«
»Gut«, flüsterte ich und holte das Gewünschte. Auch ich brauchte einen Schluck, denn der Anblick war mir schon auf den Magen geschlagen. Wenn es sich tatsächlich um den Kopf eines Mauren handelt, dann mußte dieser mindestens fünfhundert Jahre alt sein. Ich kannte mich einigermaßen mit Blutsaugern aus und hatte auch schon mit derartig alten zu tun gehabt.
Das war die eine Sache. Die andere sah so aus, daß es irgend jemand geben mußte, der diese uralten Blutsauger wieder zum Leben erweckt hatte, und den mußte ich wahrscheinlich finden.
Mit den Gläsern ging ich auf Carmen zu. Ich gab ihr eines, aber sie trank noch nicht, sondern schaute mir in die Augen. »Auf was sollen wir trinken, Mr. Sinclair?«
»Das überlasse ich Ihnen.«
»Gut«, sagte sie. »Trinken wir auf unsere Zusammenarbeit und darauf, daß wir es schaffen, den Blutterror zu stoppen. Sie dürfen nicht überleben, sie sollen kein Blut mehr bekommen. Und trinken wir auch darauf, daß ich Sie überzeugen konnte.«
»Das haben Sie, Carmen.«
»Okay, John!«
Sie lächelte. Ich erwiderte das Lächeln, dann tranken wir die ersten Schlucke. Carmen stellte das Glas weg und ließ sich auf einem Stuhl am Eßtisch nieder. Sie rauchte den Rest der Zigarette, drückte sie anschließend aus und sagte mit leiser Stimme: »Jetzt wollen Sie natürlich wissen, was mir passiert ist?«
»Das stimmt.«
Sie erzählte ihre Geschichte, kam aber noch nicht auf den Kernpunkt zu sprechen, redete von sich, von ihrer Familie, von den Eltern, vom Bruder und dann von Spanien, auf das sie sehr stolz war, nicht allein wegen Columbus, obwohl sie sich sehr für die Geschichte ihres Landes interessierte.
Diese Tatsache wiederum hatte sie auch auf die Spur der Vampire geführt, mehr aus Zufall war sie dann auf die alte Maurenfestung gestoßen, die kurz vor dem Rückzug noch von den Spaniern zerstört worden war.
»Und da fand ich sie dann.«
»Die Vampire?«
Sie nippte am Whisky und nickte. »Ja, in den Kavernen. Ich bin hineingestiegen, weil ich nach Zeugnissen unserer eigenen Geschichte suchte, die damals eng mit der Geschichte der Mauren verknüpft war. Was ich fand, waren keine Überreste, sondern die Reste. In den alten Kavernen lagen die Gestalten wie tote Soldaten. Sie können sich vorstellen, was ich durchmachte, als ich die schrecklichen Körper zum erstenmal sah. Die Panik wühlte sich in mir hoch, und ich begreife heute noch nicht, daß ich nicht sofort weggerannt bin. Irgend etwas zwang mich dazu, noch zu bleiben, und dieses Gefühl war auch stärker als meine Angst. Ich blieb also, durchwanderte die Grabkammern und schaute mir die Gestalten im Licht meiner Lampe an. Ich strahlte jede von ihnen ab. Dabei machte ich die schreckliche Entdeckung. Bis auf zwei spitze Vampirzähne hatten sie alle Zähne verloren. Die aber waren gesund.«
»Was taten Sie?«
»Nichts, John, nichts.« Sie blickte mir wieder direkt in die Augen. »Ich rannte weg, denn ich mußte erst einmal die Tatsache begreifen, daß ich es mit Vampiren zu tun hatte. Das war absolutes Neuland für mich. Nie zuvor hatte ich damit zu tun gehabt. Überlegen Sie mal, ich kannte Vampire aus Geschichten oder Filmen. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, daß es sie tatsächlich gibt.«
»Sie gingen aber noch einmal hin?«
»Ja, nachdem ich meinen Schock
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