0754 - Als Carmen sich die Köpfe holte
war mir der Anruf dieser Carmen Cavallo nicht aus dem Kopf gegangen. So fragte ich mich immer wieder, ob ich nicht doch falsch reagiert hatte, als ich sie abwies. Aber was sollte das? Ich konnte wirklich nicht auf jeden Anrufer eingehen, der etwas von mir wollte, obwohl - und da geriet ich wieder ins Grübeln - sie mich ja gekannt hatte.
Auch ihre Stimme hatte sich nicht wie die einer Spinnerin angehört.
Wenn ihr Problem tatsächlich so dringend war und sie meine Hilfe unbedingt wollte, dann würde sie noch einmal anrufen, dessen war ich mir sicher.
Meine Überlegungen wurden von dem Ton der Klingel unterbrochen. Wer konnte das denn sein?
Ich schaute durch den Spion in der Wohnungstür und sah dicht dahinter ein sehr energisches Gesicht.
O je, die Reinemachefrau. An sie hatte ich nicht gedacht. Und jetzt stand die Staubsaugerpilotin, die ich für den Samstagvormittag bestellt hatte, vor meiner Tür.
Ich öffnete. Das schlechte Gewissen las sie mir wohl am Gesicht ab, denn sie sagte zur Begrüßung: »Komme ich ungelegen, Mr. Sinclair?«
»Nein, nein, ich…«
»Sie sahen aber so aus.« Dann ging sie vor und ich zurück. Wer Mrs. Pearson kannte, der wußte auch, daß es besser für ihn war, sich ihr nicht in den Weg zu stellen, denn sie schaffte es leicht, ihn mit ihren Massen zur Seite zu räumen. Mrs. Pearson war da sehr resolut und als Putzfrau eine Perle.
Sie kam immer nur auf Bestellung, brachte sogar ihre eigenen Putzmittel mit. Sie waren versteckt in einem mit Aufklebern übersäten Koffer, und als sie ihn abstellte, da kam es mir vor, als hätte sie mir den Befehl erteilt, die Wohnung zu verlassen.
Mrs. Pearson schaute sich um. Den geblümten Kittel trug sie bereits. »Sieht ja nicht besonders aus, Mr. Sinclair.« Ihre Augenbrauen zogen sich drohend zusammen.
Ich winkte ab. »Für mich ist es sauber.«
»Männer«, sagte sie sehr verächtlich, um sich dann in einer ähnlichen Art und Weise zu wiederholen. »Männer sind alle gleich. Wird Zeit, daß ihr euch mal ändert.«
Ich grinste schief. »Ich bin bereits dabei, mich zu emanzipieren, Mrs. Pearson.«
»Das muß auch nicht sein. Aber ich möchte sie auch nicht hier in der Wohnung haben. Sie können gegen ein Uhr zurückkommen. Bis dahin bin ich fertig.«
»Danke, Mrs. Pearson.« Ich schlich in den Flur, nahm die leichte Jacke vom Haken und verließ mein eigenes Reich wie jemand, der sich auf der Flucht befand.
Über zwei Stunden mußte ich totschlagen, was bei Regenwetter wesentlich tragischer gewesen wäre als bei diesem Sonnenschein. Von Suko wußte ich, daß er den Tag im Freibad ›vergammeln‹ wollte. Dazu hatte ich keine Lust und auch nicht die Ruhe.
Meine Gedanken drehten sich nach wie vor um den Urlaub, und ich wollte ihn auch nicht mit einem Fall verbringen. Die Tage in Pontresina waren kein Urlaub gewesen. Sie hatten sich zu einem kapitalen Horror entwickelt.
Erst hatte ich vorgehabt, mich in einen Pub zu setzen und ein wenig mit den Gästen zu reden, dann trieb es mich auf einen kleinen Flohmarkt, der bei diesem Wetter schon sehr gut besucht war.
Einheimische und Touristen schoben sich durch die engen Gassen zwischen den Ständen, und die Sonne brannte dabei auf unsere Köpfe nieder. Der Monat Mai meinte es in der zweiten Hälfte wirklich mehr als gut. Hoffentlich hielten die Temperaturen nicht über Wochen so an, dann fing die Millionenstadt an zu kochen.
Die Hitze auf dem Flohmarkt gefiel mir ebensowenig wie die Ansammlung der Menschen. Ich landete schließlich doch in einem Pub, stellte mich an die Theke, bestellte ein großes Bier und schaute den Dart-Spielern zu, die mit einer nahezu stoischen Gelassenheit ihre Pfeile warfen und dabei meist die Ziele trafen.
Der Wirt gab hin und wieder seine Kommentare ab. Schließlich holte er noch seinen Schwiegersohn, einen mageren Typen mit flachsblonden Haaren, der den Spielern mal zeigte, was Sache ist.
Der Knabe entpuppte sich als ein wahrer Dart-Künstler. Zwischendurch bediente er sogar noch die Gäste, die vor der Tür auf dem Gehsteig saßen und sich von den Wanderungen über den Flohmarkt erholten.
Ich hatte keine Lust, mich an den Fachgesprächen zu beteiligen. Dabei hätte es mir im Prinzip gutgetan, mich abzulenken. So aber drehten sich die Gedanken wiederum nur um den Anruf der Carmen Cavallo, und ich spürte in mir ein schlechtes Gewissen.
Ein zweites Bier bestellte ich auch noch, denn ich hatte noch Zeit. Jetzt in der Wohnung zu sein und Mrs. Pearson beim
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