0757 - Das Reich der Großen Schlange
einen Moment herrschte angespannte Stille.
Doch plötzlich grölten und johlten die Kosaken wie auf Kommando um die Wette. Sie schossen in die Luft und ließen Kuslow hochleben.
Mit einem grimmigen Lächeln auf seinem bösen Gesicht drehte sich Pjotr Kuslow zu den bärtigen Waffenträgern um.
»In die Sättel, Männer! Wir reiten nach-Vanavara! Es warten noch große Aufgaben auf uns!«
***
Tungusen-Lager, 30. Juni 1908, vormittags
Thaagu haderte mit seinem Schicksal.
Dieses wundervolle Amulett mit der gewaltigen magischen Kraft hatte sich bereits einmal in seinem Besitz befunden. Er hatte es dieser Nicole Duval abgenommen. Nun aber kamen diese beiden Fremden ins Lager gestiefelt.
Und einer von ihnen trug das Amulett an einer Kette um den Hals!
Doch kaum hatte sich Thaagu an diesem Anblick erfreuen können, als das Kleinod auch schon wieder weggezaubert wurde. Was hatte das zu bedeuten?
Thaagu war am Boden zerstört. Für eine kurze, viel zu kurze Zeit hatte er absolute Macht gehabt, da sich das Amulett in seinem Besitz befunden hatte. Der Zauberkundige war sicher, dass er die Geheimnisse des magischen Gegenstandes sehr schnell für sich selbst würde nutzen können.
Da kam ihm plötzlich ein rettender Gedanke.
Niemand anders als die Große Schlange hatte das Amulett weggezaubert! Ja, so musste es sein! Eine andere Erklärung, die Sinn hatte, gab es nicht.
Thaagu überlegte fieberhaft. Wahrscheinlich hatte die Große Schlange ihrem Diener helfen wollen, denn das Kleinod konnte wahrscheinlich auch als Waffe gegen Thaagu gerichtet werden. Um das zu verhindern, hatte das mächtige Wesen dieses Amulett eben zeitweilig entfernt. Ja, so musste es sein!
Der Schamane zwang sich zu einem gewinnenden Lächeln. Nun bereute er es bitter, dass er die Beherrschung verloren und einen Verzweiflungsschrei ausgestoßen hatte.
Natürlich entging ihm die Aufregung seiner Stammesbrüder nicht. Sie bezeichneten die beiden Fremden als »Feuermänner«. Direkt aus der Flammenwand am anderen Flussufer sollten die beiden Kerle gekommen sein.
Thaagu begrüßte die Männer ehrerbietig, während er ihnen innerlich die Pest an den Hals wünschte.
»Willkommen, edle Herren!« Der Schamane sprach Russisch. »Ich werde Thaagu genannt, und ich bin der Schamane meines Volkes.«
»Ein Geisterseher?«, fragte der jüngere Mann spöttisch, woraufhin der andere ihm vor das Schienbein trat.
»Ich bin in ständiger Zwiesprache mit den Geistern«, bestätigte Thaagu ungerührt.
Der ältere Fremde wandte sich nun an den Schamanen. »Mein Name ist Zamorra, und mein Begleiter heißt Oleg Petrow. Du bist offenbar ein weiser Mann, Thaagu. Hast du eine Erklärung für das Feuer, das heute vom Himmel gefallen ist?«
Der Schamane wurde stutzig. Wenn diese Kerle wirklich Feuermenschen waren, hätten sie wahrscheinlich selbst die Brandkatastrophe erklären können. Er, Thaagu, wusste inzwischen, wer das Grauen nach Sibirien gebracht hatte, die Große Schlange nämlich. Er legte sich seine Antwort genau zurecht.
»Ich glaube, dass ich euch helfen kann, Zamorra und Oleg Petrow. Folgt mir bitte in meine bescheidene Jurte.« Der Schamane machte eine einladende Handbewegung.
Zamorra beschloss, auf der Hut zu sein. Sein Instinkt sagte ihm, dass er diesem Schamanen nicht unbedingt trauen konnte. Andererseits konnte er Unterstützung schon gebrauchen. Nicole hatte das Amulett gerufen, befand sich also offenbar in Gefahr. Daher wollte der Dämonenjäger Merlins Stern nur dann zurückholen, wenn er ihn wirklich nötig brauchte.
Und Oleg? Der war auf der Suche nach des Rätsels Lösung im Tunguska-Fall keine Hilfe. Für den Revolutionär trugen der Zar, die Popen und die Kapitalisten an allem Ungemach die Schuld. Also auch an der-Tunguska-Katastrophe.
Es war immerhin möglich, dass dieser Thaagu es ehrlich meinte, sagte sich Zamorra, während er hinter dem Schamanen in dessen Jurte verschwand. Oleg kam ebenfall hinterhergekrabbelt.
Thaagu entzündete ein blakendes Öllicht, das nur wenig gegen die Dunkelheit in dem fensterlosen Raum auszurichten vermochte.
Der Dämonenjäger dachte nach.
Warum hatte Thaagu so grässlich geschrien, als Merlins Stern gerufen wurde? Ein zauberkundiger Schamane sollte sich von solchen Dingen nicht aus der Ruhe bringen lassen. Jedenfalls weniger als ein Durchschnittsmensch, wie Zamorra fand.
Hatte der Schamane bereits einmal mit dem Amulett zu tun gehabt? Vielleicht sogar in einem früheren Leben? Zamorra beschloss, den
Weitere Kostenlose Bücher