076 - Der magische Schrumpfkopf
Betriebsleiter, und Werner Brandeis, dem Prokuristen. Manchmal beantwortete Lord ihre Fragen in wichtigen Angelegenheiten entweder gar nicht oder mit einem: „Tun oder lassen Sie, was Sie wollen, mich kümmert nichts mehr. Wozu soll ich mich denn abrackern, wenn doch niemand da ist, für den es sich lohnt?“
Lord achtete auch nicht mehr auf sein Äußeres, lief unrasiert und ungepflegt herum, was bei ihm, der früher so auf Eleganz bedacht gewesen war, besonders auffiel. Er suchte Zuflucht im Alkohol, trank einsam, allein, um seinen Kummer und die nagende Verzweiflung zu betäuben, die Gewißheit, daß er übermächtigen Kräften ausgeliefert war, die sein Schicksal grausam zum Schlechten hin wandten.
Bei den wenigen geschäftlichen Verhandlungen und betrieblichen Besprechungen, die Lord noch führte, hatte er meist eine Fahne, die einen Bierkutscher vom Bock geworfen hätte. Bald brachte er es auf mindestens eine Flasche Wodka am Tag. Wodka war das Getränk, das er bevorzugte.
Frederik Lord hatte sich selber völlig aufgegeben. Der Kummer über den Tod seiner Frau und den Schwachsinn seines Sohnes fraß ihn buchstäblich auf. Vor dem Schrumpfkopf hatte Frederik Lord panische Angst. Seit Dieter zurückgekehrt war, hatte er den Safe nicht mehr geöffnet.
Außer Gram und Furcht tat der Alkohol ein übriges, um den Fabrikanten zu ruinieren. Mit der Firma ging es bergab. Während Otmar Röder sein möglichstes tat, um das Unternehmen wie früher weiterzuführen und den Chef zu ersetzen, ließ Werner Brandeis den Dingen ihren Lauf, sah sich bereits nach einer neuen Stellung um und führte Verhandlungen mit Konkurrenzfirmen, die die Firma Lord in nicht allzu ferner Zeit billig aufzukaufen hofften.
Dr. Thomas, die junge Ärztin des Dorfes, war eine der wenigen, die für Lords Treiben Verständnis zeigten. Ende des Sommers allerdings hielt sie es für angebracht, mit ihm ein ernstes Wort zu reden, wenn das auch eigentlich nicht ihre Sache war.
Dieses Gespräch und Frederik Lords Reaktion darauf lösten eine Reihe von dramatischen und unheimlichen Ereignissen aus.
„Es ist eine Schande, daß ein Mann in Ihrer Position und mit Ihren Fähigkeiten sich so gehen läßt“, sagte Dr. Gaby Thomas zu Frederik Lord. „Wenn Sie sich schon unbedingt zugrunde richten wollen, warum nehmen Sie dann nicht gleich eine Kugel und schießen sie sich in den Kopf? Das würde das Verfahren wesentlich verkürzen.“
„Das sagen Sie mir? Als Ärztin?“
Der Fabrikant und die Ärztin, die für Dieter Lord die Medikamente verschrieb, saßen sich in der Halle im Erdgeschoß der Villa am kalten Kamin gegenüber.
„Ich sage Ihnen das nicht als Ärztin“, fuhr Dr. Thomas fort. „Sondern als Mensch. Gewiß, Sie hatten schwere Schicksalsschläge zu erdulden, aber Sie können sich doch nicht einfach gehenlassen, sich selbst aufgeben.“
Frederik Lord war erschreckend abgemagert. Er trug einen alten, schwarzen Wollpullover, hatte sich seit zwei oder drei Tagen nicht mehr rasiert. Seine Augen waren blutunterlaufen, seine Wangen eingefallen. Er aß nicht mehr richtig, trank dafür um so mehr.
Es war noch nicht Mittag, aber Lords Augen waren schon etwas glasig, und seine überbetonte Sprechweise verriet, daß er etwas getrunken hatte.
„Was geht Sie denn das alles an?“ fragte er die junge Ärztin. „Ich bin ein freier Mensch. Ich kann tun und lassen, was ich will.“
„Ja, das können Sie“, antwortete sie. „Bis zu einem gewissen Grad. Ich habe den Eindruck, die Menschen in Ihrer Umgebung wagen es nicht, offen mit Ihnen zu reden und Ihnen die Wahrheit zu sagen, Herr Lord. Was geschehen ist, können Sie nicht mehr ändern. Das Leben geht weiter, Herr Lord. Das ist eine Binsenweisheit, aber es ist wahr. Nehmen Sie sich doch zusammen, Mann, soviel muß doch in Ihnen stecken. Bieten Sie Ihrer Umwelt kein Schauspiel und machen Sie sich nicht lächerlich! Sie stehen kurz vor einer geschäftlichen und persönlichen Katastrophe, ich weiß nicht, ob Sie sich darüber im klaren sind. Ihre Arbeiter und Angestellten lachen über Sie. Wenn Sie jetzt nichts tun, wenn Sie jetzt nicht kämpfen, um Ihre Niedergeschlagenheit und Verzweiflung zu überwinden, ist es zu spät.“
„Warum sagen Sie mir das?“ keuchte Lord. „Was macht es Ihnen aus, ob ich lebe oder sterbe oder wie ich lebe? Warum, zum Teufel, lassen Sie mich denn nicht in Ruhe?“
„Weil ich es nicht mit ansehen kann, wie Sie sich quälen und zugrunde richten. Gewiß, Sie
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