0761 - Nefrets Todesvogel
dabei einen Blick auf die goldene Frau, ohne jedoch auf sie einzugehen, denn er blieb zunächst allgemein. »Auch ich kann nicht wissen, nur schätzen und folgern, aber ich bin ein Mensch, der die Augen nicht vor gewissen Dingen verschließt, der sich mit dem Mythen der Völker befaßt, die es ja auch gegeben haben muß. Und es sind tatsächlich Dinge gefunden worden, die auf die Zeit davor hinweisen. Es gibt Daten, kleine Kalender, denn es war immer Sitte, spezielle Ereignisse zu datieren. Man findet in den Annalen Hinweise auf Klimaveränderungen, auf Katastrophen und so weiter. Aber man findet auch Beweise für die alten Völker. Und es gab jemand, der diese Annalen gesammelt hat und für mich praktisch ein erster Geschichtsschreiber gewesen ist.«
»Wer?«
»Der Priester Manetho.«
Bill und ich schüttelten die Köpfe, denn ihn kannten wir beide nicht. Spimanes trank einen Schluck Wasser und setzte zu einer längeren Erklärung an. »Manetho schreibt, daß der erste Herrscher in Ägypten Hephaistos gewesen ist. Es soll auch das Feuer gebracht haben. Nach ihm folgten Chronos, Osiris, Tiphon, ein Bruder des Osiris, dann Horos, der Sohn des Osiris, und Isis. Dies also waren Götter, wie ihr sicherlich wißt. Danach regierte das Geschlecht der Göttersprößlinge rund 1250 Jahre. Anschließend herrschten andere Könige 1800 Jahre. Danach dreißig memphitische Könige über einen Zeitraum von 1790 Jahren. Danach thynitische Könige etwa 350 Jahre. Wenn man alles zusammenrechnet umfaßt diese Herrscherperiode der Totengeister und Göttersprößlinge gute Jahre.«
Wir zeigten uns beeindruckt. Ich aber wollte noch einmal wissen, ob er die Zeit vor Atlantis gemeint hat.
»Natürlich.«
»Aber sie könne von Atlantis beeinflußt worden sein.«
»Das stimmt auch.«
»Was sagen die Zahlen genau?« fragte Bill. »Sind sie denn anerkannt worden?«
»Nein, nicht von den Gelehrten. Man streitet sich, ob es Sonnen- oder Mondjahre sind, es fehlt einfach der feste Bezugspunkt, zu dem zurückgerechnet werden kann. Den Archäologen graut vor Datierungen, die in die Zehntausende gehen. Man hat Manetho für einen Spinner gehalten und seine Zahlen immer wieder zurechtgestutzt und sie als zu subjektiv angesehen, weil er als Totenpriester durchaus Interesse daran gehabt haben könnte, sich wichtig zu machen. Aber seine Zahlen sind von dem Kirchenfürsten Eusebio übernommen worden, und der wiederum hat sie in Mondjahre umgerechnet, so daß er auf dreißigtausend Jahre kam. Andererseits hat Diodor von Sizilien, ein großer Schreiber, dessen Werke vierzig Bände umfassen, darauf hingewiesen, daß viele Städte der alten Ägypter von Göttern gegründet sein müssen, und damit kommen wir den Manethos Ausführungen näher, der ja über Gottkönige die ersten Aufzeichnungen hinterlassen hat. Die Menschen waren damals einfach noch zu primitiv, die Menschen, die wir kennen. Es hat andere gegeben, sie lebten in nicht mehr existenten Reichen wie Atlantis, aber das will man gern verschweigen, sonst müßte die gesamte Wissenschaft umdenken.«
»Interessant!« murmelte Bill, der sehr nachdenklich wirkte. »Aber die Menschen haben über ein immenses Wissen verfügt. Du weißt, daß ich damit das eigentliche Geheimnis der Cheopspyramide anspreche…«
»Das stimmt.«
»Und woher hatten sie es?«
Spimanes erhob sich und ging zum Fenster. Neben seinem Bett blieb er stehen und schaute wieder auf die Frau mit der goldenen Haut. Er atmete tief durch. »Ist sie nicht wunderbar?« fragte er.
Wir stimmten ihm zu.
Er drehte sich noch einmal um. »Ihr wollt bestimmt wissen, wer sie ist und woher sie kommt.«
»Gern.«
»Ich sage euch zunächst ihren Namen. Sie heißt Nefret.«
»Und weiter?«
»Später, John, später. Alles der Reihe nach. Wir sollten nichts überstürzen.«
»Trotz Kiriakis?«
Er winkte ab. »Keine Sorge, von diesen primitiven Menschen lassen wir uns nicht aus unseren Forschungen herausreißen. Ihr werdet sehen, wie wir tatsächlich einen großen Bogen bis zu den Psychonauten spannen können, auf die es euch ja ankommt.«
»Beneidest oder bewunderst du sie?« fragte Bill.
Spimanes legte die Stirn in Falten, um dabei über seine Haut zu reiben, als wollte er nach einem dritten Auge suchen, das verschollen war. »Ich glaube nicht, daß ich sie beneiden soll. Sie wissen sehr viel. Wissen kann Macht sein, kann aber auch Qual bedeuten. Ich schätze, daß es bei ihnen Qual ist.«
»So sehen wir das auch.«
Der Grieche ging
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