0764 - Der Wall um die Welt
Er hauchte fast unhörbar: „Ein Posten Adens! Er hat ein Energiegewehr."
Tolot zog ihn zurück.
„Das übernehme ich schon", gab er leise zurück.
Er quetschte sich die letzten Meter vor, bis er den Mann sah, der an der gegenüberliegenden Wand stand und lauschte. Er schien ein verdächtiges Geräusch gehört zu haben, wußte aber offenbar nicht, woher es kam.
Tolot hatte seinen Strahler auf Narkose geschaltet. Er richtete die Waffe auf den Ahnungslosen und drückte auf den Feuerknopf.
Der Mann rutschte bewußtlos, immer noch gegen die Wand gelehnt, zu Boden und blieb reglos liegen. Er war für Stunden ausgeschaltet.
„Wir müssen ihn beiseite schaffen", riet Collanzor. „Wenn die anderen ihn finden, gibt es Ärger."
Sie schleppten den Bewußtlosen ein Stück zurück und legten ihn in eine der vielen leeren Kammern, die den Hauptkorridor säumten. Collanzor bekam das Energiegewehr, das er fast liebevoll abtastete.
„Sie lieben Waffen?" fragte Perlat neugierig.
Der Alte schüttelte den Kopf.
„Ich habe niemals Waffen geliebt, und ich liebe sie auch heute noch nicht. Aber - verstehen Sie meine Lage. Eine gute Waffe ist nun das einzige Mittel, sich das Leben zu erhalten und sich vielleicht eines Tages auch Freiheit zu erkämpfen.
Wir sind praktisch wehrlos gegen den Diktator und seine Schergen. Jede einzelne Strahlwaffe bedeutet einen Schritt in Richtung Zukunft. Ich weiß, das klingt furchtbar, aber es ist die Realität. Aber wir müssen zurück zum Schlund.
Das Exekutionskommando wird bald eintreffen".."
*
Kermor Tager war zwei Jahre nach dem Schiffbruch geboren worden. Seine Welt bestand aus dem Wall und seinen unzähligen Gängen und Kammern, den unheimlichen Maschinen und den Grollschlünden, vor denen er sich schon als Kind gefürchtet hatte, und aus einer Außenwelt, die in der ewigen Dämmerung lag.
Seine Eltern hatten ihm von der Erde und anderen Planeten erzählt, auf denen Bäume und Pflanzen wuchsen, auf denen es Tiere gab, die er sich nicht vorzustellen vermochte. Er erfuhr, was Tag und Nacht war, und daß es Sterne am Himmel gab, wenn es völlig dunkel wurde.
Er hörte von unglaublichen Dingen, die es alle auf dieser Welt nicht gab.
Als er größer und erwachsen wurde, reifte in ihm der Entschluß, alle diese Wunderdinge einmal sehen zu wollen. Er hörte von den Beibooten im Wrack, das er schon mehrmals betreten hatte.
Aber er hatte sie nie gefunden, denn das Schiff war zu groß.
Viele Sektionen waren versperrt oder völlig zerstört.
Dann hatte er Dayne Collanzor kennengelernt, ihn und seine Freunde, die ebenfalls diesen Planeten verlassen wollten.
Er schloß sich ihnen an, als seine Eltern starben. Sie starben, weil Aden sie auf Erzsuche in die Tageszone schickte.
Allmählich wurde für den Diktator die bislang unbeachtet gebliebene Widerstandsgruppe zu einer echten Gefahr, die er mit erbittertem Haß zu bekämpfen begann. Sein Handikap war, daß er nur wenigen Menschen vertraute und in jedem Unbekannten einen potentiellen Gegner vermutete. Wie sollte er einen Gegner erledigen, wenn er selbst in seiner Festung blieb und manche von denen, die er ausschickte, nicht mehr zurückkehrten?
In dieser Zeit entwickelte sich Tager zu einem sehr aktiven Mitglied der Widerstandsgruppe. Immer öfter meldete er sich zur Teilnahme an den immer gefährlicher werdenden Spähtrupps, von denen sie manchmal sogar mit einem Gefangenen zurückkehrten.
In dem bewohnten Teil des endlosen Walls entwickelte sich ein richtiger Krieg.
Obwohl Herthigo Aden jeden Gefangenen, den seine Leute machten, hinrichten ließ, behandelten die Rebellen die ihren human und töteten sie nicht. Aber sie ließen sie auch nicht frei, was ihr Leben im Grunde kaum veränderte. Vielleicht würde der eine oder andere von ihnen einst ein guter Bundesgenosse werden.
Kermor Tager gewann immer mehr an Ansehen, selbst unter den Halbverrückten, die nichts mit der Gruppe zu tun hatten und unter den Befehlen Adens dahinvegetierten. Oft suchte er sie heimlich auf und sprach mit ihnen, meist ohne jeden Erfolg.
Aber der eine oder andere der Unterdrückten raffte doch den Rest seines Verstandes zusammen und folgte ihm. Und seltsam: Wenn ein solcher Mann längere Zeit bei den Rebellen lebte, begann er wieder klarer zu denken. Es schien, als habe der Hauch der Freiheit, der innerhalb der Gruppe wehte, eine heilsame Wirkung auf die kranken Gemüter.
Bei einer ähnlichen Mission wurde Tager gefangengenommen.
Die Schergen
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