0764 - Schrei, wenn dich der Teufel holt
noch auf freiem Fuß?«
»Das leider auch nicht, verehrter Professor. Sehen Sie, ich konnte einige Amtsärzte dazu… hm… anregen, meiner Tochter eine vorübergehende geistige Verwirrung zu bescheinigen. Davon abgesehen, dass dieses Blutbad in London wirklich die Tat einer Wahnsinnigen sein muss.«
»Ich verstehe«, schaltete sich Nicole ein. »Dann befindet sich Asha also in einer…«
»In einer Nervenklinik, ganz genau«, seufzte Devi senior.
***
Gandhi Mental Hospital, Kanpur, Indien
Die Nervenklinik erinnerte eher an ein Luxushotel als an ein Krankenhaus. Der weitläufige Gebäudekomplex war unmittelbar am Ufer des Ganges gelegen, inmitten eines üppig wuchernden Ziergartens. Nur die hohen, gesicherten Mauern erinnerten daran, dass hier nicht nur Verbrecher am Eindringen gehindert werden sollten. Sondern auch Insassen am Entkommen…
Zamorra und Nicole waren in Ramesh Devis Rolls Royce dorthin verfrachtet worden. Während der Fahrt hatten sie genügend Zeit zum Reden. Die Trennscheibe zwischen ihnen und den beiden Leibwächtern vorne im Wagen war absolut schalldicht.
»Ich kann immer noch nicht glauben, dass Ashas Vater uns als die einzigen Freunde seiner Tochter betrachtet, Chef. Als wir Asha das letzte Mal gesehen haben, hat sie gebrüllt und getobt. Und dann hat sie uns an den Kopf geknallt, dass sie uns nie wieder sehen will.« [2]
»Vielleicht ist das ja ihre Art, ihre Sympathie zu zeigen, Nici.«
»Sehr witzig!«
»Ich meine das durchaus ernst. So gut kenne ich Asha nicht. Aber dass sie einen kleinen Knacks hat, ist durchaus möglich. Überleg doch mal. Ihr eigener Vater will sie den Göttern opfern…«
»… und ihr Bruder ist ein Dämon«, ergänzte Nicole. »Du hast Recht. Um solche Dinge wegstecken zu können, muss man schon ein ziemlich dickes Fell haben. Und Asha ist wohl viel sensibler, als es den Anschein hat. Ich frage mich allerdings inzwischen, ob sie den Massenmord an den Teufelsanbetern nicht wirklich auf dem Gewissen hat. In ihrem Hass auf Dämonen kann sie jedenfalls ziemlich blindwütig sein.«
Zamorra schüttelte den Kopf.
»Das glaube ich nicht. Dafür ist Asha zu sehr Polizistin. Sie hätte die ganze Bande eingelocht, das ja. Wahrscheinlich wäre ihr dabei auch öfter mal die Hand ausgerutscht. Aber trotz allem waren es ja Menschen und keine Dämonen. Und dass Asha auf unbewaffnete Menschen schießt, glaube ich nicht. Noch nicht einmal, wenn es Dämonenknechte sind.«
»Ich bin gespannt, welche Version wir von Asha zu hören bekommen.«
Der Rolls Royce fuhr durch das bewachte Tor des Anstaltsgeländes. Ein Sicherheitsdienst in Fantasieuniformen sorgte offenbar dafür, dass sich keiner der Patienten in die Freiheit verirrte. Ansonsten sah man von weitem Krankenschwestern, Pfleger und Ärzte in ihrer weißen Kluft geschäftig hin- und hereilen.
Die britische Nobelkarosse wurde vor dem Hauptgebäude geparkt. Einer von Ramesh Devis Männern führte Zamorra und Nicole zu einem Arzt, der sich als Dr. Singh vorstellte. Unter dem offenen weißen Kittel trug er einen Geschäftsanzug. Er wirkte wie ein Mediziner, der in seiner Freizeit mit Aktien handelte. Oder wie ein Börsenspekulant, der in seinen Mußestunden Patienten therapierte. Je nachdem, wie herum man es sehen wollte.
Zamorra und Nicole stellten sich vor.
»Ah, Herr Kollege!« Dr. Singh schüttelte Zamorras Hand. »Mister Devi hat mir schon telefonisch Ihren Besuch angekündigt. Sie sind Freunde von Mister Devi?«
Im Blick des Arztes flackerten Furcht und Respekt auf.
»Ja«, log Zamorra, um die Sache nicht unnötig zu verkomplizieren. Er wollte jetzt endlich mit Asha sprechen.
»Ein interessanter Fall, die Tochter Ihres Freundes.« Dr. Singh rieb sich geschäftig die Hände. »Wenn Sie gestatten, gehe ich voran…«
Der Nervenarzt führte Zamorra und Nicole über eine Marmortreppe in einen Seitenflügel der Klinik. Dabei redete er ununterbrochen.
»Miss Devi hat an die eigentliche Tat keine Erinnerung, was mich aber angesichts ihres Krankheitsbildes nicht wundert. Nach umfangreicher Diagnostik…«
»Welches Krankheitsbild haben Sie denn festgestellt?«, fragte Zamorra dazwischen.
»Akute Psychose!«, verkündete Dr. Singh gewichtig. »Die Patientin glaubt fest daran, dass es überall Dämonen gibt. Sowohl in unserer Welt als auch in irgendwelchen Paralleluniversen! Stellen Sie sich vor, sie hält sogar ihren eigenen Bruder für einen Dämon!«
»Das ist ja entsetzlich«, sagte Zamorra mit einer Ironie, die
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