0767 - Zeit der Wachsleichen
der Gräber irren konnten. Da war der beste Schutz die Kirche, in der er sich immer so wohl gefühlt hatte. Wenn nicht anders möglich, wollte er dort bis zum Sonnenaufgang warten. Dann mußte das Grauen vorbei sein.
Prantl erreichte die Tür.
Er riß sie auf und schaute noch einmal zurück.
Der Zombie hatte nicht aufgegeben. Er stand neben dem Tisch und hatte eine Faust auf die Platte gestützt, als wollte er sich von dort abstemmen. Es war die Gestalt mit dem bösen Blick, und er richtete ihn auch auf den Priester.
Er zerrte die Tür zu.
An der anderen Seite holte er tief Luft. Er stand in der kühleren Sakristei, taumelte einige Schritte nach vorn, bis er gegen einen Stuhl stieß und sich an dessen hoher Lehne festhielt. Sekunden später setzte er sich hin.
Ausruhen, nichts von dieser Hölle auf Erden sehen und hören. So und nicht anders konnte seine Devise nur lauten. Aber sie war trügerisch, denn er wußte selbst, daß ihm die Sakristei nicht die Sicherheit der Kirche bot.
Deshalb stand er auf, drehte sich in der Bewegung zur Tür hin um und sah noch nichts.
Er würde kommen, daran glaubte er fest, und dann wollte Pfarrer Prantl gewappnet sein. Er hatte sich wieder gefangen und konnte klarer denken. Wie sollte er dieses Wesen stoppen? Mit Gebeten allein war es nicht getan, da brauchte er schon etwas Handfestes, um ihn in die Schranken zu verweisen.
Hastig schaute er sich in der Sakristei um. Ein Kreuz hing an der Wand. An der Seite stand der alte Schrank, in dem er die nicht geweihten Hostien aufbewahrte, auch einen Kelch, ein Kreuz, aber es war zu spät, um ihn zu öffnen, denn die Wachsleiche kam.
Sie rammte die Tür so heftig auf, daß sie fast nach vorn gefallen und in den Raum hineingestolpert wäre. Dafür zuckte ihr Schatten über die hell getünchten Wände wie ein lebendiger Scherenschnitt, der erst zur Ruhe kam, als auch der Zombie stand.
Der Geistliche hatte sich noch nicht entschieden. Er stand neben einer Vitrine, und auf ihr hatte das Gefäß mit dem Weihwasser seinen Platz gefunden.
Es bestand aus Metall, glänzte silbrig, und war geformt wie ein übergroßer Salzstreuer.
Prantl riß es an sich, und er schwang das Weihwassergefäß nach vorn, auf den Zombie zu. Durch die Löcher fiel das Wasser in zahlreichen Tropfen. Es ergoß sich wie ein Regen auf den Eindringling, der nicht mehr ausweichen konnte.
Er wurde voll erwischt.
Plötzlich zischte es. Rauch wölkte auf. Der Zombie riß die Arme hoch, um sich zu schützen, vergeblich, denn die Tropfen brannten auch auf deren Haut.
Prantl hatte seine Angst überwunden. »Hinweg mit dir, du verfluchter Satan!« brüllte er. »Hinweg aus diesem Haus Gottes! Zurück in dein Grab, in die kalte Erde, du Günstling der Hölle…«
Der Zombie verschwand. Nicht wegen der Worte, ihm machte das Weihwasser zu schaffen. Die Tropfen zischten auf, als sie seine Haut trafen und brannten kleine Löcher hinein. Sie hinterließen winzige, dampfende Wunden, und der stumme Zombie zuckte vor Schmerz zusammen. Nicht nur das, er trat auch den Rückweg an.
Bevor der Pfarrer zum vierten Mal das Weihwasser gegen ihn schleudern konnte, war der Untote bereits durch die Tür verschwunden und hatte sie wieder hinter sich zugezerrt.
Jetzt hätte Prantl nachsetzen können, er ließ es bleiben. Für ihn war wichtig, daß er dieses Wesen zum zweiten Mal vertrieben hatte. Mit zitternder Hand stellte er das Gefäß wieder an seinen Platz zurück.
Danach ging er wie eine aufgedrehte männliche Puppe durch die Sakristei. Er wußte nicht, was er wollte, murmelte Wortfetzen vor sich hin und dachte schließlich daran, daß er in die Kirche hatte gehen wollen.
Daran wollte er auch jetzt nichts ändern.
Noch einmal schaute er auf die Tür, durch die das Wesen verschwunden war.
Sie blieb geschlossen.
Prantl nickte zufrieden vor sich hin. Plötzlich hatte ihn so etwas wie eine Siegesstimmung überkommen. Er kam sich beinahe vor wie eine Gestalt aus der Bibel. Er hatte das Böse besiegt. Er war standhaft geblieben, und dafür wollte er danken.
Es kribbelte auf seinem Rücken, als er die düstere Kirche betrat. Für einen Moment spürte er wieder Furcht, dann erinnerte sich der Pfarrer daran, wo er sich befand, und ein glücklich anmutendes Lächeln huschte über seine Lippen.
Dieser Ort gab ihm Trost und Hoffnung zugleich. Hier würde ihm das Böse nicht folgen.
Gemessenen Schrittes, wie es dieser Raum verlangte, ging er auf den höher liegenden prächtigen Altar zu,
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