0767 - Zeit der Wachsleichen
denn dieser brutale Mord war mir an die Nieren gegangen, und Sally hatte natürlich davon gewußt, auch wenn sie nicht selbst daran beteiligt gewesen war. Nur machte sie nicht den Eindruck, als würde sie daran überhaupt denken. Sie lehnte an meinem Leihfahrzeug, als wäre überhaupt nichts passiert. Sogar lächeln konnte sie.
»Sie sollten vergessen.«
»Bestimmt nicht.«
»Jetzt reden Sie wie ein Bulle.« Sie hatte mich provozieren wollen und hoffte auch, daß ich ihr zustimmen würde, doch einen Teufel tat ich. Sie erntete Schweigen.
»Was wollen Sie?« fragte ich nach einer Weile.
Sally hob die Schultern. Sie wirkte nicht mehr so nett und fraulich, sondern kantig und hart. »Sie sollten sich auf andere Dingen konzentrieren, John.«
»Wie schön, daß Sie so besorgt um mich sind. Auf welche denn, wenn ich fragen darf.«
»Sehen Sie, schon packt Sie die Neugier. Auf den Jungen und seine Mutter, zum Beispiel.«
»Tatsächlich?«
»Ja, und zwar bald, denn die beiden sind nicht ungefährlich, wie ich meine.«
»Sie aber auch nicht.«
»Es hält sich in Grenzen.«
»Sie wissen, was Ihrer Freundin passiert ist?«
Sally biß sich auf die Unterlippe. Ich konnte es deshalb sehen, weil ich näher an sie heranging. Für einen Moment sah es aus, als würde ihre Maske zerbrechen, dann holte sie tief Luft und hatte sich wieder in der Gewalt. »Nicht genau oder ausführlich. Ich kann mir denken, daß Sie mich aufklären werden.«
»Gern.«
»Tun Sie es.«
»Audrey ist tot!«
Drei Worte nur, die ich schon des öfteren Menschen gesagt hatte. Jeder reagierte anders, obwohl es im Prinzip nur zwei Differenzierungen gab. Die einen waren beinahe zu Tode erschreckt, die anderen nahmen die Nachricht gleichgültig hin.
Sallys Reaktion lag dazwischen. Sie brach nicht zusammen, sie jubelte auch nicht, sie schaute mich nur an. Dabei bewegten sich ihre Finger. Dann fragte sie: »Waren Sie es?«
»Nein. Obwohl ich zugeben muß, daß nicht viel gefehlt hätte. Wir standen uns praktisch Auge in Auge gegenüber. Ich nehme auch an, daß Sie den toten Sidney Davies weggeschafft haben.«
»Stimmt.«
»Audrey wollte mich töten.« Ich hob die Schultern. »Nun ja, ich will auf Einzelheiten verzichten. Es ist mir gelungen, sie zu überwältigen. Ich sperrte sie in die Gästetoilette ein. Als sie sich später nicht meldete, schaute ich nach. Sie war…«
Sally unterbrach mich. »Gift?« Ich nickte.
Die Frau vor mir zitterte für einen Moment. Sie trug eine graue Jacke und hatte ihr Kleid gegen eine Hose getauscht. Darüber trug sie eine dünne Bluse. Tief holte sie Luft. »Ja, so war es vorgesehen, John.«
»Bei Niederlage Tod?«
»Es ist unser Job.«
»Ein Killerjob.«
Sie schwieg. Ich gab ihr die Sekunden, um sich zu erholen. Sie blickte an mir vorbei in die Ferne.
Die Augen hatten dabei einen nachdenklichen und lauernden Ausdruck angenommen. Schließlich schüttelte sich Sally und hob die Schultern. »Okay, ich habe mich damit abgefunden. Es ist unser Berufsrisiko. Es waren zwei schöne Jahre mit ihr, das können Sie mir glauben.«
Ich glaubte es ihr, aber ich begriff es nicht. Vielleicht mußte man selbst Mörder sein, um dies verstehen zu können. Für mich war das einfach zu hoch.
»Was passiert ist, das ist passiert. Wir können es nicht rückgängig machen.« Sie hustete. »Sie sollten sich Ihr Vorgehen trotzdem überlegen, John.«
»Das habe ich schon.«
»Da bin ich mir nicht sicher, ob Sie den richtigen Weg eingeschlagen haben. Ich bin leider zu spät gekommen und habe die beiden nicht stoppen können. Aber um sie geht es, um Mutter und Sohn. Wenn ich Ihnen sage, daß sie eine viel größere Gefahr bilden als Audrey und ich es zusammen waren, würden Sie mir dann glauben?«
»Nur schwer.«
»Habe ich mir gedacht. Es ist trotzdem so. Uns ging es ja um die Familie.«
»Der Mafia.«
Sie pfiff mich an. »Aha, der Herr weiß Bescheid. Also doch nicht so ohne!«
»Nehmen Sie mal an, daß ich Bescheid weiß. Es rechtfertigt Ihre Tat noch längst nicht.«
»Darüber sollten Sie sich keine Gedanken machen, John. Wenn man es genau nimmt, war Sidney Davies der Harmloseste aus der Familie. Ein armes Schwein, der gegen Frau und Sohn nicht ankam. Er hat aus bestimmten Gründen sterben müssen.«
»Er hat etwas Richtiges getan.«
»Das sagen Sie. Es ist vorbei, Sinclair. Lassen Sie uns darüber nicht mehr reden. Es gibt wichtigere Dinge. Mutter und Sohn. Ein brandgefährliches Duett.«
Ich tat unwissend. »Für die
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