0768 - Lady Bluthaar
fing mich an der anderen Reling.
Die Gestalt hatte etwas gemerkt. Ohne Marion loszulassen, drehte sie sich um. Ich schaute in das Gesicht mit der dünnen Haut, sah den offenen Mund und die Augenhöhlen, die nicht leer waren. Wobei mich der Eindruck überkam, als hätten sich irgendwelche Körper daraus hervorgeschoben.
Ich kam.
Diesmal hechtete ich der Gestalt flach entgegen, den rechten Arm ausgestreckt und damit auch den geweihten Silberdolch. Das Ziel war nicht zu verfehlen, die Klinge drang in die Lücke zwischen irgendwelchen Knochen hinein. Ich stieß sie noch tiefer, und dabei zuckte die grünliche Gestalt wie unter einem Stromstoß.
Sie ließ Marion los. Auf unsicheren Schritten wankte sie zurück. Die Klinge hatte bei ihr eine tiefe Wunde hinterlassen, aus der grünlicher Dampf strömte.
Sie erreichte die Reling.
Für einen Moment blieb sie dort stehen, dann bekam sie das Übergewicht, wobei ich nicht einmal einzugreifen brauchte. Ich lief ihr trotzdem nach und schaute hinein in das Wasser, das aus zahlreichen Armen zu bestehen schien, die sich um den Körper dieses widerlichen Monstrums geklammert hatten und ihn in die Tiefe rissen. Ich hatte Glück und konnte zuschauen, wie sich die Gestalt dicht unter der Oberfläche auflöste. Da war nichts, was den Körper noch zusammenhielt.
Ich atmete tief durch.
Zeit, um den Schrecken zu überwinden und mich um das Mädchen zu kümmern, hatte ich nicht. Der Angriff war zu keiner günstigen Zeit erfolgt, denn unser Boot war heftig ins Schlingern geraten.
Wasserstrudel hatten nach ihm gegriffen, sie drehten es, sie schleuderten es hin und her, so daß ich immer mehr Angst davor bekam, daß es kippen könnte, aber es hielt sich noch.
Ich hörte Marion wimmern. Sie lag und preßte sich mit dem Rücken gegen die Bordwand. Die Beine hatte sie angezogen, den Kopf gesenkt, als wollte sie ihn verstecken. Es war die Haltung eines schutzsuchenden Fötus im Mutterleib, und diesmal hoffte ich, die Funktion der Mutter übernehmen zu können, um sie und mich heil auf die Insel zu bringen. Einen ›Vorteil‹ hatte dieser Angriff gehabt. Wir wußten wenigstens, was uns möglicherweise erwartete.
Ich bekam das Ruder zu fassen und sah, welch ein Glück das gewesen war. Im letzten Augenblick gelang es mir, einem aus dem Wasser ragenden Felsen auszuweichen. An seiner linken Seite huschte ich vorbei. Der Schaum quirlte hoch, einen leichten Schlag bekam das Boot trotzdem noch mit, es bockte auf, dann senkte sich der Bug wieder und schnitt hinein in die schaumigen Brandungswellen.
Vor mir lag der Strand.
Ein breiter Streifen, hell schimmernd und an einigen Stellen gleißend, wo er vom Licht der Sonne getroffen wurde. Die vorlaufenden Brandungswellen hatten mehr Kraft als die zurücklaufenden, sie schoben das Boot dem Uferstreifen entgegen.
Schon bald hörte ich das bekannte Knirschen unter dem Kiel. Wir rutschten auf dem Sand weiter, noch einmal bekamen wir einen Schub, dann hing das Boot fest, und ich mußte raus, um es an Land zu ziehen. Ich nahm das Tau mit, den Motor hatte ich natürlich abgestellt. Bis zu den Knien reichte mir das Wasser. Ich watete weiter und zerrte das Boot hinter mir her.
Die Wellen halfen mir, sonst hätte ich noch mehr Mühe gehabt als sonst. Ziemlich erschöpft und noch immer wacklig auf den Beinen, erreichte ich den trockenen Boden, wo ich mich niederließ, die Beine in den Sand stemmte und das Boot so weit vorschob, daß es mit der Hälfte seines Kiels auf dem Trockenen stand.
Geschafft!
Zumindest diese Hürde.
Ich blieb für einige Sekunden im sonnenwarmen Sand hocken. Bis über die Knie war die Hose feucht geworden. Sie klebte an meinen Beinen. Aus meiner sitzenden Position schaute ich nach vorn und sah den Bug aufragen.
Ich dachte an Marion Hayle und hätte sie mir am liebsten weit weg gewünscht. Statt dessen schwankte das Boot etwas, weil sie sich bewegte und sich aufrichtete.
Sie stand plötzlich am Heck. Ihre Gestalt zeichnete sich schattenhaft hinter der mit Gischt bespritzten Frontscheibe ab. Sie hatte den Körper nach vorn gedrückt, holte erst einmal Luft, denn hinter ihr lag der Schrecken.
»Kommen Sie her, Marion, wir haben es geschafft. Sie brauchen keine Angst mehr zu haben.«
Sie bewegte sich langsam, als sie von Bord kletterte. Unsicher blieb sie im Sand stehen und schaute zurück, als wollte sie sich davon überzeugen, daß diese wilde Fahrt tatsächlich hinter uns lag. Dabei schüttelte sie den Kopf, als könne sie es
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