0768 - Lady Bluthaar
ihr. Marion mußte sich festklammern, als sie auf das Wasser schaute.
»Halten Sie durch!« rief ich ihr zu. »Es dauert nicht lange. Wir haben es gleich hinter uns.«
Sie gab eine Antwort, die ich nicht verstand. Es wurde eng für mich. Schäumendes Wasser trieb mir entgegen. Wie Perlen glitten die Schaumblasen an der Bootswand entlang.
Ich hörte Marion schreien.
Es war nur ein kurzer Ruf, der mich alarmiert hatte. Ich stellte das Ruder für den Moment fest und drehte mich um. Das Mädchen hatte seine Haltung an der Reling nicht verändert. Es umklammerte sie noch immer, aber es hatte sich etwas in seinem Gesicht getan, denn diese Bleichheit konnte nicht nur am strömenden Wasser liegen, sie mußte noch einen anderen Grund haben. Außerdem sah ich in ihren Zügen so etwas wie Angst und Verblüffung.
»Was ist denn los?«
Sie rang sich die Worte ab. »John, da… da… war etwas im Wasser. Das habe ich genau gesehen.«
»Was denn?«
»Keine Ahnung«, hauchte sie. »Ein Fisch?«
»Machen Sie keine Witze. Das war kein Fisch. Weder ein großer noch ein kleiner.«
»Wie sah es denn aus?«
»Es war groß, glaube ich.« Sie sah, daß ich wenig mit der Antwort anfangen konnte, so versuchte sie weitere Erklärungen. »Das ist… ich… ich kann es nicht genau sagen. Das ist alles andere gewesen. Wie ein Mensch.«
Ich stand unbeweglich. Nur das Boot schwankte. Hin und wieder schaute ich nach vorn. »Ein Mensch.«
»Oder ein Körper…« Marion verzog das Gesicht und quälte sich dabei. »Verdammt, ich habe es nur gesehen, aber nicht so genau. Und es hat mir einen tiefen Schrecken eingejagt, verstehen Sie? Ich habe Angst davor bekommen.«
»Schon gut.« Ich wollte sie beruhigen. »Vielleicht haben Sie nur eine Planke gesehen. Diese treibenden Trümmerteile gibt es überall, und Ihre Nerven waren überreizt.«
»Kann sein.«
Ich mußte mich wieder um das Ruder kümmern, denn das Boot lief sonst aus dem Kurs.
Wir wurden bereits von der zurücklaufenden Brandung erreicht. Schaumige Wellen, die immer noch genügend Kraft hatten, um wuchtig gegen die Bordwand zu schlagen. Es hörte sich an, als würden mächtige Hände dagegenklatschen.
Etwas schrammte am Bug entlang. Ich biß die Zähne zusammen. Es mußte die Seite einer dieser verfluchten Klippen gewesen sein, und ich konnte nur hoffen, daß unser Boot nicht beschädigt war.
Unser Boot tanzte, wir tanzten mit. Ich konnte nicht mehr auf meine Begleiterin achten. Schäumendes Wasser umsprudelte uns. Die Gischt sprühte über die Bordwand.
Dann tauchte der Bug plötzlich so tief ein, als hätte sich jemand drangehängt. Wasser schäumte über, es rann sogar bis in meinen kleinen Ruderstand.
Ich hörte Marion schreien.
Ich drehte mich.
Meine Augen weiteten sich, denn Marion kippte zurück, weil sie einen Stoß bekommen hatte. Nicht allein durch die heftige Bewegung des Bootes, das kam vielleicht noch hinzu, der Grund aber war ein anderer.
An ihr hing eine nasse Gestalt.
Sie war kein Mensch, obwohl sie so aussah, denn menschlich war ihr Körper. Nur sah die Haut sehr grün aus, sie erinnerte mich an altes Laub, das naß geworden war. Das haarlose Wesen war aus dem Meer geklettert und für mich nichts anderes als ein Wasserzombie, der Marion Hayle an die Kehle wollte…
***
Ich leistete dem Mädchen insgeheim Abbitte, denn sie mußte dieses Wesen bereits im Wasser entdeckt haben.
Ich hetzte auf sie zu.
Das Boot schlingerte, es war zu einem Spielball der Wellen geworden. Jetzt konnte ich für nichts mehr garantieren, aber es hatte Vorrang, Marion zu retten, weil dieses Wassermonstrum nicht so aussah, als wollte es sie freundlich in die Arme schließen.
Sie war auf den Rücken gefallen, saß aber noch, wobei ihr die Seitenverkleidung Halt bot. Die Arme hielt sie ausgestreckt. Für mich war es mehr eine Geste der Hilflosigkeit. Davon ließ sich dieses Wesen jedoch nicht beeindrucken.
Es griff zu.
Die Handgelenke wurden von einem harten Schlag getroffen und zur Seite gedrückt. Ein weiterer Schlag folgte, und Marion sank wimmernd zusammen.
Dann war ich da.
In der rechten Hand hielt ich bereits den Dolch, und das Wesen drehte mir den Rücken zu.
Alles lag frei.
Ich holte aus.
Da senkte sich das Boot und kippte gleichzeitig zur Steuerbordseite hin. Ich konnte mich nicht mehr halten, der Stich, der den Rücken der untoten Wasserbestie hätte treffen wollen, verfehlte das Ziel.
Die Klinge wischte dicht an der Gestalt vorbei, ich stolperte hinterher und
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