077 - Die Gruft der bleichenden Schädel
Nacken kribbelte.
»Du mußt
eingeschlafen sein. Vielleicht nur für ein paar Sekunden. Ich habe über die
Anhänger der bleichenden Schädel gesprochen. Einen Moment lang hast du geistig
abgeschaltet.«
»Ich schlafe
nicht vorm Bildschirm ein, Harry! Ich bin keine alte Tante.«
»So war das
nicht gemeint. Du bist sicher übermüdet, Miriam. Leg dich noch eine Weile hin.
Die Reise,
die vielen Wege, das alles sind Strapazen. Da muß man keine alte Tante sein, um
bei einer Sendung kurz einzunicken.«
Er lachte
leise, und es klang beruhigend.
»Du wirst
recht haben, Harry. Ich lege mich etwas hin. Aber den Drink nehmen wir doch
noch an der Bar.«
»Okay, Darling.
Ich freue mich schon.«
Es knackte in
der Leitung. Harry van Loose legte auf, nachdem er sich mit einem in die
Muschel gehauchten Kuß von ihr verabschiedet hatte.
Gedankenverloren
stand Miriam Brent einen Moment neben dem Telefon, wandte sich dann um und
schüttelte den Kopf.
»Halluzinationen«,
murmelte sie. »So also kann’s einem ergehen. Einen Augenblick der Schwäche, die
man nicht mal selbst erkennt, und gleich sieht man auf der Grenze zwischen
Wachen und Träumen nicht vorhandene Dinge.«
Miriam legte
sich auf die Couch und stieß mit dem Fuß die Balkontür auf, so daß der
gleichmäßige Straßenlärm und das Rauschen des Wassers vom Hafen her in ihr
Zimmer drangen.
Eine
Viertelstunde verging. Die Amerikanerin schlief nicht ein. Sie war nicht müde,
sondern fühlte sich frisch und voller Tatendrang, wollte aber noch fünf Minuten
liegen bleiben. Dann war es Zeit, um sich fertig zu machen, um Harry van Loose
zu empfangen.
Miriam
richtete sich auf, ließ eine Hand durch die langen, kastanienbraunen Haare
gleiten und war gerade im Begriff aufzustehen, als das Telefon erneut anschlug.
Harry van
Loose meldete sich.
»Harry? Du?«
wunderte sich die junge, grazile Amerikanerin, und ihre braunen Augen verengten
sich zu schmalen Schlitzen.
»Tut mir
leid, Darling!« Seine Stimme klang verändert. »Ich bin immer noch im Studio. Es
ist da etwas, was ich dir sagen muß. Ich glaube, du hast doch nicht geträumt.
Die Telefone klingeln heiß. Wir haben schon weit über achtzig Anrufe bekommen.
Alle wollen wissen, was der Unsinn mit dem makabren Bild bedeutet. Hier im
Studio ist der Teufel los. Wir suchen den Fehler. Die Meinung, daß einer der
Filmgeber durch irgendeinen Defekt selbständig geworden ist, setzt sich immer
mehr durch. Es wird nachgeprüft, ob das der Fall sein kann und ob vielleicht
ein Grusel- oder Horrorfilm eingespannt gewesen ist. Rätselhaft ist nur, wie
die Sendung dann über den Kanal gekommen ist. Das ist so gut wie
ausgeschlossen, aber aufgrund der Reklamationen wohl nicht mehr von der Hand zu
weisen. Ich werde hier so schnell wie möglich zu einem Ende kommen. Gedulde
dich noch etwas, Darling! Unser Drink ist nur aufgeschoben, nicht aufgehoben.«
●
Der Holländer
traf nach etwas mehr als einer Stunde im Hotel ein. Miriam war fix und fertig
angezogen und sah reizend aus. Harry van Loose küßte sie zärtlich. Er war
nervös, versuchte aber, sich das nicht anmerken zu lassen.
»Was ist aus
der Geschichte mit dem Bild geworden?« erkundigte sich Larry Brents Schwester.
Harry wusch
sich im Bad die Hände, steckte sein Gesicht unter den kalten Wasserstrahl und
kämmte sich dann seine Haare.
»Wir sprechen
darüber. In der Bar.«
»Ich schlage
vor, wir gehen zuerst ins Restaurant. Die Sache hat begonnen, mir auf den Magen
zu schlagen.«
»Okay, wenn
du Hunger hast, dann nichts wie hin. Ich habe heute abend in der Kantine nur
ein Käsebrötchen gegessen. Das war auch alles. Ich könnte etwas vertragen, aber
ich habe nicht gewagt, davon anzufangen. Aus Amerika habe ich in guter
Erinnerung, daß du der Figur zuliebe auf manchen Leckerbissen verzichtet hast.«
»Das ist auch
heute noch so, Harry. Aber bisher hatte ich noch nicht richtig die Gelegenheit,
die holländische Küche kennenzulernen. Und das will ich mir nicht entgehen
lassen. In drei Tagen ist es sowieso aus mit anständiger Kost. Dann leben wir
von Fertiggerichten aus der Dose und Tütensuppen.«
Sie lächelte.
Er aber erwiderte es nicht. Der Ausdruck in seinen Augen veränderte sich. Er
wollte etwas sagen, aber er tat es nicht.
Miriam
bemerkte die Veränderung. »Du willst mich nicht mehr mitnehmen?« fragte sie
leise, als hätte sie seine Gedanken erraten.
Er antwortete
nicht gleich, sondern führte sie wortlos aus dem Zimmer bis in das
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