077 - Die Gruft der bleichenden Schädel
Das
Verschwinden von drei medizinischen Koryphäen ist zumindest ebenso seltsam wie
der Mord. Vielleicht gibt es Zusammenhänge.«
Pinky
Shorthand verabschiedete sich.
Edward
Higgins blickte ihm nach. »Ich habe schon ne Menge erlebt«, murmelte der
Chiefinspektor. »Aber wenn das so wäre, dann müßte es an den Haaren
herbeigezogen sein.«
Er schüttelte
den Kopf und griff in die Zigarrenkiste. »Drei Ärzte verschwinden spurlos. Ein
Professor für Anatomie, ein namhafter Chirurg und ein Psychologe. Kurz
hintereinander scheinen sie sich in Luft aufgelöst zu haben. Und jetzt wird der
Sohn eines Forschers mit einem Giftpfeil erschossen, und Pinky Shorthands
Computergehirn schlägt Kapriolen. Es ist nicht zu fassen!«
Er steckte
sich die noch nicht angezündete Zigarre zwischen die Lippen, griff nach dem
Hörer und wählte eine interne Nummer.
»Merchant,
ich habe was für Sie. Gerade war Shorthand da. Heften Sie sich ihm an die
Fersen. Ich will alle zwei Stunden wissen, wo er sich aufhält, was er treibt
und mit wem er spricht.«
»Okay,
Chiefinspektor. Bin schon unterwegs.«
Charly
Merchant hatte eine ruhige, sympathische Stimme. Sie paßte nicht ganz zu seinem
Äußeren. Er war blond und sehr hager, fast dürr. Seine Gesichtshaut schimmerte
wächsern, und er sah aus, als ob er den ganzen Tag nur in einem geschlossenen
Raum arbeitete. Doch das stimmte nicht.
Meistens
befand er sich im Außendienst. »Auf Achse«, wie er es bezeichnete. Seine
Erfolge als Beschatter vom Dienst waren im Yard wohlbekannt. Er klebte förmlich
an seinem Opfer, und keiner brachte es fertig, sich mit so vielen Tricks an den
zu Beobachtenden heranzuschleichen wie Charly Merchant.
Edward
Higgins betrachtete sinnend seine Zigarre. »Die werde ich Bissen für Bissen
verspeisen, wenn Shorthand recht hat, verdammt noch mal!«
●
Der Himmel in
Amsterdam war grau, und Wolken zogen vom Meer her übers Land.
Es war noch
früh am Abend, aber trotzdem schon dunkler als sonst.
Miriam Brent,
die hübsche Schwester des erfolgreichen PSA-Agenten Larry Brent, hielt sich in
ihrem Hotel auf, das direkt am Hafen lag.
Die
Amerikanerin befand sich seit zwei Tagen in der Stadt der Grachten.
Miriam stand
auf dem Balkon und blickte auf die belebte Straße, die genau am Hotel
vorbeiführte.
Die junge
Schauspielerin warf einen Blick auf ihre Armbanduhr, ging kurz darauf in das
geschmackvoll eingerichtete Zimmer und schaltete das Fernsehgerät ein. Nach den
Nachrichten folgte ein Informationsprogramm des Senders. Darin wurden die
holländischen Zuschauer über Sendungen und Ereignisse unterrichtet, die sie in
naher Zukunft erwarten konnten, und sie durften einen Blick hinter die Kulissen
werfen. Die Sendung hatte Magazincharakter und war recht interessant gestaltet
– informativ und unterhaltsam zugleich.
Miriam
verstand allerdings nicht sehr viel davon. Sie sprach nur wenige Worte
Holländisch.
Aber das
störte sie nicht. Schließlich wartete sie auf den Auftritt eines Mannes, dem
ihr Besuch in Amsterdam galt.
Zehn Minuten
vor neun war es soweit.
Der Moderator
stellte Harry van Loose vor, der den Zuschauern kein Unbekannter mehr war.
Ein junger
Mann, vor wenigen Tagen neunundzwanzig geworden, weltoffen und sympathisch. Der
dunkle, gepflegte Vollbart, der sein Gesicht wie ein Kranz umrahmte, ließ ihn
etwas älter erscheinen.
Van Loose
hatte für das niederländische Fernsehen mehrere abenteuerliche Reiseberichte
gedreht. So war er unter anderem vor drei Jahren den Spuren Alexander des
Großen gefolgt, hatte risikoreiche Trips durch Persien und Afrika hinter sich
und einen Aufenthalt bei den Kurden. Schon als Siebzehnjähriger nahm er an einer
abenteuerlichen Autoreise durch Indien teil. Er und drei seiner Freunde, die
bei einem Unfall ums Leben kamen, hatten sich eigentlich vorgenommen, diese
Reise mit dem Rad zu unternehmen und sich dabei eine zweijährige Reisedauer
ausgerechnet. In letzter Minute aber waren sie von dieser Idee abgekommen.
Harry van
Loose wählte ungewohnte Wege und Routen, er entdeckte Dinge und Orte wieder,
die man längst verloren glaubte. Vor einem halben Jahr war er in den USA
gewesen, wo einer seiner Reisefilme mit Begeisterung vom dortigen
Fernsehpublikum aufgenommen wurde. Miriam Brent, die sich an jenem Abend zu
Aufnahmen in diesem Fernsehstudio aufhielt, kam mit Harry van Loose ins
Gespräch. Beide fanden sich auf Anhieb sympathisch, und seit jenem Abend sah
man sie öfter gemeinsam.
Vor vier
Monaten
Weitere Kostenlose Bücher