077 - Die Hexe von Andorra
eine Flasche Bourbon, einige Packungen Celtas mit dem giftigschwarzen Tabak und einige Dinge, die er bei der Familie Aranaz zusammengekratzt hatte und die sich - Improvisation war alles - zur Not als Dämonenbanner verwenden ließen. Er konnte sich darüber hinaus glücklich schätzen, noch im Besitz einer gnostischen Gemme und einer Pistole zu sein.
Ob ihm die Gemme gegen Quintano etwas nützen würde, bezweifelte er allerdings, insofern nämlich, da er an dem Verwalter bisher noch keine dämonische Ausstrahlung bemerkt hatte.
Dorian stellte die Whiskyflasche auf den steinernen Tisch, der aus einem Stück gehauen war und eher wie ein Opferstein aussah, mit den Teufelsmasken und -fratzen auf allen vier Seiten und der halbkugelförmigen Vertiefung in der Mitte der Platte, die dazu gedacht sein konnte, das Blut des Opfers aufzufangen.
Dorian schenkte sich ein Glas Bourbon ein, zündete sich eine Zigarette an und knipste die Taschenlampe an. Er ließ den Lichtkegel auf das Gemälde fallen, das so groß war, daß es fast eine ganze Wand einnahm. Darauf war unverkennbar Castillo Basajaun abgebildet. Der wuchtige Burgfried mit seinen Ecktürmchen und das Doppeltor des Hauptgebäudes mit dem Tympanon und dem Portalgewände stimmten mit dem, was Dorian gesehen hatte, überein. Nur die die Burg umgebende Ringmauer existierte nicht mehr. Auf dem Gemälde spielte sich vor Burg Basajaun eine wüste Szene ab. Frauen, Kinder und Männer in Bauernkleidern und Höflinge versuchten vor einer Schar Bewaffneter zu flüchten, wurden aber zu Dutzenden von diesen niedergemetzelt oder gefangengenommen und zusammengetrieben. Eine Szene zeigte, welches Schicksal ihnen blühte: auf einem Scheiterhaufen brannten drei Männer und vier Frauen.
Dorian erkannte an der Kleidung der Bewaffneten, die die Burg allem Anschein nach gestürmt und erobert hatten, die Schergen der Inquisition, Familiaren genannt. Auf einer Messingplatte am unteren Rahmen war der Titel des Gemäldes eingraviert:
Wie Enrique Quintano Bonifaz den bösen Feind aus Basajaun vertreibt und seine hörigen Diener vernichtet, so wahrlich geschehen im Jahre des Herrn 1768.
Von Fabian Baroja, seinem ängstlichen Fremdenführer, wußte Dorian, daß Quintanos Vorfahre Castillo Basajaun vor zweihundert Jahren in ihren Besitz gebracht hatten. Das Bild schien Aufschluß darüber zu geben, auf welche Weise dies geschehen war. Enrique Quintano Bonifaz dürfte gute Beziehungen zur Inquisition gehabt haben, wenn er die Familiaren dazu brachte, die Besitzer von Castillo Basajaun gefangenzunehmen und hinzurichten.
Dorian hätte gern mehr über die Geschehnisse von damals erfahren; zum Beispiel, ob der Burgherr tatsächlich ein Dämon gewesen war. Doch das ging aus dem Bild nicht hervor.
Der Dämonenkiller wurde aus seinen Betrachtungen gerissen, als er glaubte, in der Ferne einen Schrei zu hören. Er lauschte angestrengt, in der Hoffnung, daß sich das Geräusch wiederholte. Und tatsächlich, da war wieder ein Schrei. Diesmal war er sogar lauter und langgezogen. Aber er war so leise, daß man sic voll konzentrieren mußte, um ihn zu hören.
Von wo kam der Schrei? Wer schrie? Dorian löschte die Taschenlampe, ging zu dem einzigen Fenster des Zimmers, das ein Zwillingsbogenfenster war, und öffnete einen Flügel. Als die kühle Nachtluft hereinwehte, erkannte er erst, wie modrig die Luft in seinem Zimmer war; als wäre schon seit Jahren oder Jahrzehnten nicht gelüftet worden.
Das Fenster ging nach Osten hinaus und lag so hoch, daß er über die Schlucht und die Bäume hinweg bis zur N 3 blicken konnte, wo gerade die Scheinwerferkegel eines vorbeifahrenden Autos das Dunkel zerschnitten. Er blickte hinunter auf den weißen Schneeteppich, fünfzig Meter unter sich.
Der Schnee schien zu leuchten.
Für einen Moment glaubte er, am Waldrand eine Bewegung zu sehen. Eine grazile Mädchengestalt mit einem schwarzen Schemen zu ihren Füßen tauchte zwischen den Bäumen unter. Das Mädchen mit der schwarzen Katze?
Dorian starrte lange auf den Punkt, aber sie tauchte nicht mehr auf.
Endlich besann er sich wieder darauf, warum er eigentlich das Fenster geöffnet hatte. Er lauschte, konnte aber nichts hören. Demnach mußte das Schreien aus der Burg selbst kommen.
Er schloß das Fenster wieder und begab sich, mit der Taschenlampe in der Hand, zur Tür. Die Kerze im Zimmer ließ er brennen. Als er den altertümlichen Schlüssel im Schloß herumdrehte, verursachte das ein so lautes verräterisches
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