0771 - Der Knochen-Sessel
jagen, denn sie wissen Bescheid. Sie sind schon unterwegs. Er darf keine Beute des Dämons Baphomet werden. Ihr müsst es verhindern, ihr müsst…«
Der flüsternde Klang verwehte. Es wurde wieder still im Kopf des Templers.
Einen Augenblick später verschwand auch das Bild. Die Wirklichkeit hatte den einsamen Mann wieder, und seine Hände rutschten von den schweißfeucht gewordenen Würfelflächen ab. Der Abbé atmete tief und seufzend auf. Er spürte nicht, dass in seinen Augenwinkeln Tränen schimmerten…
Die Begegnung mit der anderen Welt und der anderen Zeit hatte den Mann geschafft. Er brauchte lange, um wieder der zu sein, als den man ihn kannte. Er kam sich vor wie in einem mit Wasser gefüllten Trog, dem er nur langsam entstieg.
Er setzte seine Brille auf, um sich zu orientieren. Kühl war es geworden. Der Wind hatte noch mehr aufgefrischt. Er kam von den Bergen und brachte den kalten Gruß der Gipfel mit. Es roch nach Staub und auch wieder nach dem alten Laub, aber es war der Geruch der Realität, und das freute den Abbé.
Die Warnung hatte er genau verstanden. Ob er noch eine zweite Warnung erhalten würde, wusste er nicht. Er konnte sich darauf nicht verlassen und beschloss, etwas zu tun.
Aber was?
Bloch dachte nach. Noch einmal ließ er die Vorgänge vor seinem geistigen Auge ablaufen, und wieder einmal wurde ihm die Deutlichkeit der Botschaft bewusst. Wenn das silberne Skelett des Hector de Valois von einer Gefahr sprach, dann war das nicht einfach nur dahingesagt worden. Dann steckte etwas dahinter, dann war die Not schon groß, und es gab ja tatsächlich eine Gruppe, die bereits hinter dem Knochen-Sessel her war. Templer, aber Männer, die auf der falschen Seite standen und dem Dämon mit den Karfunkelaugen – Baphomet – zugetan waren. Da sie ebenfalls an den Knochen-Sessel heran wollten, musste er für sie eine große Bedeutung haben, und wahrscheinlich lagen diese Gründe tief in der Vergangenheit.
Eine Frage stellte sich ihm. Welche Verbindung gab es zwischen dem Knochen-Sessel und den Templern?
Der Abbé sah gleichzeitig ein, dass er dies nicht als primär hinstellen konnte. Viel wichtiger war ein anderes Problem. Er musste den Sessel finden, doch er wusste nicht einmal, wo er mit der Suche beginnen sollte.
Wo gab es einen Knochen-Sessel?
Die Welt war groß, die Templer hatten in der Vergangenheit ihre Zeichen gesetzt. Auch während der Kreuzzüge. Sie waren in viele Länder gereist, und überall hätten sie diesen außergewöhnlichen Sessel verstecken können.
Bloch fühlte sich wie ein Hungriger, dem ein Löffel mit Nahrung hingehalten wurde. Allerdings so weit von dessen Mund entfernt, dass er den Löffel nicht leeren konnte. Das war schlecht. Da musste ihm einfach etwas einfallen.
Ihm allein?
Das würde er nicht schaffen, das war einfach zu viel. Er brauchte Helfer, aber auch seine Templer-Brüder standen hier in Alet-les-Bains auf verlorenem Posten. Dieses Haus war eine Operationsbasis, mehr auch nicht. Hier konnten Pläne geschmiedet werden. Durchgeführt werden mussten sie woanders.
Auch sah der Abbé ein, dass es mittlerweile zu spät war, um seine Freunde in die Welt zu schicken, damit sie sich auf die Suche nach dem Knochen-Sessel machten. Das alles hätte keinen Sinn gehabt.
Außerdem waren Baphomet und seine Diener bereits unterwegs. Er konnte sich gut vorstellen, dass sie eher am Ziel waren.
Welche Möglichkeiten gab es?
Viel ging ihm in den folgenden Minuten durch den Kopf. Immer wieder erinnerte er sich an sein Erlebnis, und er dachte über die Handlungen und Folgen nach.
Um etwas zu erreichen, würden er und seine Freunde Hilfe brauchen. Und zwar Hilfe von Menschen, die kompetent waren, die sich auskannten und in einer gewissen Verbindung zu dem silbernen Skelett des Hector de Valois standen.
Zum Glück gab es da jemanden. Einen Mann, der mehrere Wiedergeburten erlebt und auch einmal Hector de Valois geheißen hatte. Der ein enger Freund der Templer war, dem der Abbé voll und ganz vertraute, dessen Schicksal eng mit dem der Templer verknüpft war.
Er lebte nicht in Frankreich, er war auch kein Franzose, sondern stammte aus Großbritannien. Sein Name: John Sinclair!
Ja, das war die Lösung. Der Abbé konnte sich keine andere vorstellen, und ein Lächeln umfloss seine Lippen, als er an den Geisterjäger dachte. Beide Männer vertrauten sich gegenseitig. Wenn er John Bescheid gab, würde der augenblicklich alarmiert sein und auch entsprechend handeln.
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