0772 - Das Gericht der Toten
sagte mir nicht nur mein Gefühl, sondern auch der immer stärker werdende Leichengeruch. Es kam mir so vor, als läge in jeder Ecke ein Stück Aas.
Ich musste mich auf einiges gefasst machen, denn ich war davon überzeugt, auf die Mönche zu treffen. Leider hatte man mir nicht sagen können, wie viele Feinde gegen mich standen. Ich wusste auch nicht, welchem Orden sie angehörten und ob es tatsächlich Templer waren, denn in der alten Zeit hatte es noch zahlreiche Splittergruppen gegeben.
Auf einmal war ich da. Der Lichtkegel meiner Lampe hatte die alten Spinnweben sichtbar gemacht und malte sich als Kreis auf dem neuen Ziel ab.
Wieder eine Tür. Eine verschlossene, doch unter ihr schimmerte ein schwaches Licht. Es schien Kerzenlicht zu sein, es flackerte nämlich.
Ich atmete tief durch und nahm mir noch einmal die Zeit, meine Waffen zu überprüfen. Das Kreuz war da, der Dolch ebenfalls, und auch die Beretta war okay.
Vielleicht ahnten die anderen schon, dass ich mich in der Nähe befand. Ich wollte es ihnen aber nicht zu leicht machen, überwand die letzte Stufe und blieb auf dem schmalen Absatz vor der Tür stehen.
Ich versuchte, durch das Schloss zu spähen. Durch die Öffnung wehte der üble Geruch. Da von innen kein Schlüssel steckte, konnte ich einen Ausschnitt des Raumes überblicken.
Viel sah ich auch deshalb nicht, weil das Licht der Kerze einfach zu schwach war. Ich sah so etwas wie eine Theke oder alte Kommode und davor einen Stuhl. Auf ihm lag ein rotes Tuch. Es machte den Sitzplatz für die Person weicher, die auf dem Stuhl in sich zusammengesunken hockte und die Hände mit Stricken gebunden hatte.
Das musste die Frau sein, deren Schrei ich gehört hatte. Ich kannte sie nicht, stellte fest, dass sie eine Blondine war und sich für einen Trip in die Berge angezogen hatte.
Hatte man sie allein gelassen?
Sie war gebunden, Bewacher sah ich keine. Dann konzentrierte ich mich auf die alte Klinke, die aussah wie eine nach unten gebogene Hand. Ich drückte sie, spürte keinen Widerstand und schob die schwere Tür mit dem rechten Knie auf.
Ich zog die Beretta, steckte das Kreuz in die Seitentasche und betrat so das alte Verlies…
***
Die Tür hatte beim Öffnen geknarrt, und dieses Geräusch war von der Frau gehört worden. Sie saß auf dem Stuhl und drehte mir den Kopf zu. Der Kerzenschein glitt über ihr Gesicht, er verfing sich auch in den Augen, in denen ich eine starke Trauer las. Sie schaute so deprimiert, so hoffnungslos, dass es mir einen Stich versetzte.
Äußere Verletzungen konnte ich an ihr nicht erkennen, sie war dem Anschein nach weder geschlagen noch gefoltert worden. Das wiederum machte mir Mut, aber ich blieb verdammt vorsichtig, denn ich erwartete…
Ja, was erwartete ich eigentlich?
Ich wusste es selbst nicht, als ich mich in das Verlies hineindrehte.
Ich hatte Feinde, es mussten diese seltsamen Mönche sein, doch von denen ließ sich niemand blicken.
Dafür sah ich die alte Holzkommode oder den Holztresen vor mir.
Zudem die Steinwände, die Decke, die Kerze auf dem Tresen. Sie war beinahe so dick wie der Unterarm eines Kindes. Inmitten der Flamme schimmerte schwarz der Docht.
Ich atmete durch die Nase. Roch den Rauch, aber auch den Moder.
Letzteres ließ mich vorsichtig werden. Ich schaute in die Runde, ging dabei einen weiteren Schritt auf die Gefesselte zu, ohne angegriffen zu werden.
Verdammt, das roch nach einer Falle!
Ich war fest davon überzeugt, dass man mich leimen wollte. Bisher hatte man mich an der langen Leine gehalten, und ich hatte genau das getan, was die anderen wollten.
Und nun? Die Frau befreien. Fast wie im Kino. Da kommt der Held, und alles ist klar.
Nichts war klar. Ich war erstens nicht der große Held, und zweitens war das Leben nicht so einfach. Es bot immer wieder Überraschungen. Damit rechnete ich auch hier.
Die Blonde schaute mir entgegen. Ihre Lippen zitterten. Ich hatte das Gefühl, als wäre sie bereit, mir etwas zu sagen, doch sie brachte es einfach nicht fertig. Irgendetwas hemmte sie, verschloss ihren Mund. War es die Angst?
Dann veränderte sich ihr Blick. Die Furcht und die Hoffnungslosigkeit verschwanden, sie schaute mich jetzt sehr klar und scharf an, und ich verstand den Ausdruck.
Eine Warnung!
»Sind Sie allein?« Es waren die ersten Worte, die ich sprach. Ziemlich leise, deshalb kamen sie mir vor, als würden sie in den Steinwänden versickern.
Sie schüttelte den Kopf. Dabei verdrehte sie die Pupillen und schielte
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