0772 - Das Gericht der Toten
Geliebten…«
»Ja, ja…«
Sie strengte sich ja an. Plötzlich spürte ich ihre rechte Wange an meiner linken. »Gut«, hauchte ich, »das ist gut.«
»Aber was soll ich denn…«
»Ruhe, ganz ruhig, wir schaffen es.«
»Das ist…«
»Greifen Sie in meine rechte Tasche, Rose. Sie finden dort ein geweihtes Silberkreuz. Holen Sie es hervor, halten sie die Kette fest und schleudern Sie das Kreuz auf diesen Richter zu. Dann nehmen Sie den Dolch und rammen die Klinge in die Körper der Monster. Es ist etwas viel verlangt, ich weiß, aber ich trage noch eine Pistole. Wenn Sie damit umgehen können, lassen Sie den Dolch liegen und nehmen Sie die Beretta. Die Waffe ist entsichert. Ich hatte sie weggesteckt, als das Netz über mich fiel, und die Wesen kennen keine Pistolen. Verstanden?«
»Ja…«
»Können Sie schießen?«
»Ja…«
»Dann tun Sie bitte alles, was ich gesagt habe, es geht jetzt um unser beider Leben!«
»Ich versuche es!«
»Haben Sie alles begriffen?«
»Ja.«
Der Richter mischte sich ein. Ihm dauerte es zu lange. Seine Stimme klang wie das Grollen eines Unwetters. »Jetzt wirst du sterben, Sinclair! Es ist vorbei!«
»Los!«, rief ich.
Und plötzlich erwachte der Körper der Frau aus seiner Starre. Ich wunderte mich darüber, wie schnell Rose handelte. Sie griff mit der linken Hand in meine rechte Jackentasche, wo das Kreuz steckte.
Mit der anderen Hand fand sie schon beim ersten Versuch die Beretta und zerrte sie aus dem Gürtelholster hervor.
Nicht die Tat an sich musste den Richter gestört haben, es waren allein die Bewegungen gewesen, die ihm einen wütenden Schrei entlockten. Der kam zu spät, denn Rose hielt die Waffen inzwischen fest und war von mir weggesprungen.
Sie hatte genau behalten, was ihr von mir eingeschärft worden war. Mit einer schnellen Drehung nach rechts stand sie praktisch vor dem schrecklichen Richter, der noch immer so aussah, als hätte er den Kopf mit seinen blutigen Lippen auf den Tresen gelegt.
Rose schleuderte ihm das Kreuz entgegen. Dabei hielt sie die Silberkette fest. Ich hörte, wie das Kreuz aufprallte und dann weiterrutschte, dem Gesicht entgegen.
Es erwischte das blutige Maul.
Der Schrei war furchtbar, der durch das Verlies hallte. Rose war noch nicht fertig. Sie bewegte sich wie ein Automat und vergaß nicht, den Dolch an sich zu nehmen. Sie steckte ihn in die Tasche, zog das Kreuz wieder zu sich heran und nahm sich noch die Zeit, einen letzten Blick auf den Richter zu werfen.
Von seinem eigentlichen Schädel war nichts mehr zu sehen. Was da auf der Platte des Tresens dampfte, war nur noch eine puddingartige Masse, die dicke Blasen warf.
Das konnte ich sogar erkennen. Ich verfluchte meine Fesselung und die damit verbundene Hilflosigkeit. Doch wenn ich Rose Cargill sah, konnte ich wahrhaftig nicht vom schwachen Geschlecht sprechen. Sie wirbelte, dass es eine Pracht war.
»Jetzt an die anderen…«
Ich kam nicht mehr weiter, denn genau in diesem Moment hatte mich das Wesen mit den nässenden Geschwüren erreicht und legte seine Totenklauen um meinen Hals…
ENDE des ersten Teils
[1] Siehe John Sinclair Nr. 771 »Der Knochen-Sessel«
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