0772 - Das Gericht der Toten
Vibrieren, und er hatte den Eindruck, als wollte sich der Sessel zum ersten Mal gegen ihn sträuben. Dieser Sitzplatz lehnte ihn ab.
Suko konnte es nicht genau beschreiben. Es war nur ein Gefühl, und es gab nichts, was ihn davon befreit hätte. Er stemmte sich dagegen, er wehrte sich, er wollte nicht, er hätte noch die Chance gehabt, aufzustehen, was ja so einfach war. Er brauchte sich nur einen Ruck zu geben und sich hinzustellen.
Es war nicht einfach. Suko blieb sitzen. Er konnte nicht. Sein Körper war um einiges schwerer geworden. Auf seiner Stirn schimmerten plötzlich Schweißtropfen, als hätte er sich bei irgendeiner Arbeit gewaltig angestrengt.
Die andere Kraft hielt ihn fest.
Auch seine Freunde merkten, dass etwas mit ihm geschah. Glenda schüttelte als Erste den Kopf. »Verflixt«, flüsterte sie, »da stimmt doch etwas nicht. Seht ihr es nicht? Seht ihr es denn nicht!«, rief sie und schnellte von ihrem Platz hoch. Sie blieb für einen Moment stehen, um dann nach vorn zu springen.
Sir James reagierte mit einem scharfen Ruf, der Glenda nicht aufhalten konnte. Bill Conolly reagierte schneller. Sein Arm schoss vor.
Er bekam das Handgelenk der Frau im letzten Augenblick zu fassen und zerrte sie zurück.
»Nicht doch!«
Glenda fuhr zu ihm herum. Ihre Augen blitzten. »Bill, siehst du denn nicht, dass es ihm schlecht geht?«
»Noch ist nichts passiert.«
Glenda regte sich auf. »Was heißt das denn schon, Bill? Es ist doch einfach nicht…«
Sir James griff ein. »Bitte, Glenda, halten Sie sich zurück. Er weiß schon, was er tut.«
Sie gab ihren Widerstand auf und merkte auch, dass sich der Griff der Finger lockerte.
Abwarten – lauern…
Suko stöhnte leise. Es war ein Laut der Verzweiflung, und er fühlte sich in diesen Momenten auch so und nicht anders. Suko war nur noch äußerlich er selbst, in seinem Innern hatten längst andere Kräfte die Kontrolle übernommen. Er fühlte sich geleitet, kontrolliert, und er merkte sehr genau, dass der Skelett-Sessel unter ihm reagierte. Das Vibrieren war geblieben. Ihm kam es vor, als hätte dieser Sessel eine Botschaft. Eine gute, denn Suko merkte immer stärker, wie sich der Einfluss vergrößerte. Auch bewegte sich der Sessel jetzt.
Es blieb nicht bei den Vibrationen, die einzelnen Knochen zitterten.
Da veränderte sich der Druck in seinem Rücken, als würde ein Knochenstück über seine Haut hinwegschaben. In ihrem oberen Teil kippte die Lehne etwas nach vorn und presste sich gegen seinen Nacken. Er hörte sich selbst stöhnen. In seinem Kopf spürte er den Druck, und auch die Armlehnen drängten sich zusammen, wobei sich gleichzeitig ihre Enden – die zu Fäusten geballten Skelettfinger – lösten. Sie streckten sich, sodass aus den Fäusten wieder normale Hände wurden, dann stemmten sie sich hoch.
Es geschah in einer ungewöhnlichen Lautlosigkeit. Er hörte kein Knacken, Knirschen oder Reißen. Alles blieb so ruhig, so erschreckend ruhig. Die große Gefahr wurde ihm erst bewusst, als sich die Knochenarme in die Höhe stemmten und sich gleichzeitig drehten, sodass Suko gegen die gelblich schimmernden Handflächen schauen konnte.
Finger zitterten, krümmten sich, zeigten mit den Spitzen auf ihn.
Suko hatte den Eindruck, von gefährlichen Messern bedroht zu werden, die nur darauf warteten, in sein Gesicht zu stoßen und dort tiefe Wunden zu hinterlassen.
Er konnte noch klar denken. Und deshalb dachte er auch an die Worte seines Freundes John Sinclair, der ihm von den Morden berichtet hatte. Einen Toten hatte Suko selbst gesehen. Er war durch den Sessel ermordet worden. Oder etwa durch die Klauen? Suko sah sie sehr deutlich. Sie schwebten in Kopfhöhe vor ihm. Die Spitzen der Finger wiesen in seine Richtung. Sie alle vereinigten sich zu einem Symbol des Schreckens, und es kam noch etwas hinzu.
An seinem Hinterkopf hörte er das Kichern!
Ein Geräusch, das ihm die Haare zu Berge stehen ließ. Es hielt sich kein Mensch dort auf, und er suchte verzweifelt nach einer Erklärung. Es gab für ihn eine, aber die war irrsinnig. Das Kichern konnte nur der Schädel ausgestoßen haben.
Aber der war doch tot…
Suko wusste nicht mehr, was an diesem Sessel noch lebte oder tot war. Er konnte sich nicht wehren. Dieser Thron hatte ihn vollends eingenommen, und ihm war längst klar geworden, dass er anders behandelt wurde als sein Freund John.
Der Sessel lehnte ihn ab, er wollte ihn nicht. Und wen der Sessel ablehnte, den tötete er. So einfach war
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