0772 - Die Rache des Toten
akkurat geschrieben, als hätte der Schreiber sie ausdrucken lassen. Kein Vergleich mit der teils unleserlichen Doktorschrift des Meisters des Übersinnlichen.
»Auf der Belle Ille«, antwortete Zamorra. Als er Williams fragenden Blick bemerkte, fügte er hinzu: »Das liegt im Atlantik, vor der Westküste, zwischen den Städten Nantes und Brest. Wichtig ist ihm wahrscheinlich, dass es sich um eine Insel handelt, wahrscheinlich ohne Flugplatz.«
Nicole erhob sich vom Arbeitstisch und setzte sich auf den bequemen Sessel vor dem Computer. »Für was gibt es den elektronischen Weltatlas«, murmelte sie, und ihre Finger huschten über die schnurlose Tastatur. »Unser Reiseroutenprogramm.«
Sie legte eine CD im Computer ein, und einen Moment später erschien das gewünschte Programm.
Der Computer benötigte nur wenige Sekunden, dann zeigte er auf dem Bildschirm eine Landkarte von Frankreich. Der Inselname war mit rot hinterlegt. Damit auch der Blindeste wusste, wo sich das Ziel befand, blinkte die Schrift.
»An der Atlantikküste vor der Bretagne«, sagte William und hob fragend beide Augenbrauen.
»Weitab gelegen vom nächsten Flughafen. Wie du eben schon sagtest, Chéri.« Nicole blickte triumphierend zu Zamorra hoch. »Schlau gedacht von unserem Unbekannten.«
»Da auch keine Regenbogenblumenverbindung dorthin besteht, bedeutet das, dass ich einige Stunden mit dem BMW unterwegs bin«, knurrte Zamorra. Von der südlichen Loire bis zur Atlantikküste musste er fast ganz Frankreich in der Breite durchqueren. »Ich könnte allerdings nach Brest fliegen und dort einen Wagen ausleihen…«
»Wir werden dorthin unterwegs sein«, berichtigte ihn Nicole. »Denn ich fahre mit!«
»Aber Mademoiselle! Auf dem Zettel steht doch, dass Monsieur Zamorra alleine dorthin kommen soll«, wagte William einzuwerfen.
»In diesem Fall werden wir mit zwei Wagen fahren«, bestimmte der Schlossherr. »Ich fahre voraus, Nicole folgt mir und wir stehen ständig über unsere Handys in Verbindung.«
»Und wenn dieser Unbekannte davon Wind bekommt, Monsieur?«
Nicole lächelte. Manchmal war William fürsorglicher als eine Mutter.
Gerade als Zamorra auf die Frage seines Bediensteten antworten wollte, öffnete sich die Tür.
Ein 1,20 Meter großes und fast genauso breites, regelrecht fettes Wesen, mit grünlichbrauner Schuppenhaut, einem langen Schweif, der mit dreieckig aufragenden Homplatten gespickt war, welche sich über den gesamten Drachenrücken bis zum Kopf hin zogen, trat langsam ein. Dieses Fantasiewesen besaß kurze Beine, kurze Arme, kurze Stummelflügel, sowie vierfingrige Hände, riesige Tellerauge und eine Krokodilschnauze.
Es handelte sich dabei um Fooly, den über hundertjährigen Jungdrachen. Vor einigen Jahren hatte William Fooly gefunden und die Verantwortung für den Drachen übernommen, denn bevor der nicht ausgewachsen war, durfte er nicht wieder zurück in seine Heimat. [2]
Zamorra und Nicole blickten sich an.
Ihnen fiel auf, dass Fooly verstört wirkte. Irgend etwas war geschehen, das die Selbstsicherheit des Drachen erschüttert hatte.
»Kommt in mein Zimmer!«, rief Fooly aufgeregt. Funken sprühten aus seinem Rachen. »Alle! Sofort! Ich muss euch unbedingt etwas zeigen…«
***
»Das darf doch nicht wahr sein«, ächzte Nicole Duval. »Ein richtiges Henkersbeil!«
Tatsächlich lag ein solches Mordinstrument neben Foolys Zimmertür. Es sah schon auf den ersten Blick uralt aus, denn teilweise war das Holz gesplittert. Und es war kaum zu glauben: Das Blut des letzten Opfers klebte noch daran!
Dadurch wirkte es, als hätte ein geschickter Restaurator daran gearbeitet, damit die Spuren für ewig erhalten blieben. Es sah fast so aus, als wäre das Blut noch nicht ganz trocken.
Oder wurde das Beil erst vor kurzem zum Morden verwendet?, fragte Zamorra sich.
»Wo hast du das wieder her, Mister MacFool?«, verlangte der Butler zu wissen. MacFool nannte er Fooly immer, wenn der etwas ausgefressen hatte. Doch diesmal fühlte sich der Jungdrache unschuldig.
»Aber ich habe euch doch schon auf dem Weg vom Arbeitszimmer hierher erzählt, dass ich nicht weiß, wie dieses… Ding in mein Zimmer gelangt ist«, beschwerte er sich lautstark.
»Dieses Ding ist ein mittelalterliches Henkersbeil«, erklärte Nicole. »Damit wurde zum Tode Verurteilten der Kopf abgeschlagen.«
»Uiuiui…« Fooly schluckte beeindruckt.
»Hm…« Zamorra kratzte sich am Kinn. Er wirkte sehr nachdenklich. »Das Beil gehört auf keinen Fall
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