0774 - Vampirblut
zum Sprung bereit, als wollte sie die Flucht ergreifen. Ihre Lippen zuckten, ihre Nasenflügel bebten. Die Furcht verdunkelte ihre blauen Augen.
Der Mann trat um die Ecke. Der Schrei, der sich in Lisas Brust hochkämpfte, erstickte in der Kehle. Eine unsichtbare Klaue schien Lisa zu würgen. Das Erschrecken ging tief und jagte in langen, heißen Wogen durch ihre Blutbahnen.
Der Mann stand jetzt an der Grenze des Lichts, das aus der Küchentür in den Flur fiel. Er starrte Lisa an. Seine Augen blickten kalt wie glasiertes Porzellan. Wie eine Statue stand er vor der weißen Wand. Groß, hager, drohend und unheimlich.
Ein Eishauch schien Lisa zu streifen. Sie spürte fast schmerzhaft die Gänsehaut, die ihren ganzen Körper überlief. Sie war zu keiner Reaktion fähig. Der glitzernde Reptilienblick des fremden Eindringlings schien hypnotisch auf sie zu wirken.
Der Fremde zeigte ein gelbliches, kräftiges Gebiss. Die dünnen Lippen kräuselten sich. Der grausame Ausdruck um den Mund lockerte sich nicht. Die Augen nahmen an dem Lächeln nicht teil. Sie blickten kalt und gehässig, böse und auf seltsame Art gierig.
Das Mädchen stand da, als wäre es neben dem Tisch festgewachsen. Angst wäre in Lisas Zustand ein zu gelindes Wort gewesen, um auszudrücken, was sie empfand. Auch Entsetzen konnte den Zustand nicht beschreiben, in dem sie sich befand. Es war das nackte Grauen, das ihr Herz mit knöcherner Klaue umkrampfte.
»Wie - wie sind Sie hereingekommen?«, stammelte Lisa »Die Tür war verschlossen.« Ihre Stimme vibrierte, das Sprechen bereitete ihr Mühe, die Stimmbänder wollten ihr kaum gehorchen.
Der Eindringling gab keine Antwort.
Lisas gemartertes Hirn suchte nach einem Ausweg. Eine Welle der Panik jagte die nächste. Eine Bruchteile von Sekunden andauernde Blutleere im Gehirn ließ sie taumeln. Ihre Knie waren butterweich, und sie hatte das Gefühl, jeden Moment zusammenzubrechen.
»Lassen Sie mich in Ruhe! Verlassen Sie auf der Stelle meine Wohnung, oder ich rufe…« Lisa brach ab. Es war Unsinn. Sie wusste es. Dieser Besucher war nicht von dieser Welt. Ein Röcheln brach über ihre bleichen Lippen. Ihre Lider zuckten wie im Fieber. Die namenlose Angst verzerrte ihr Gesicht.
Doch dann brach der Bann. Lisa warf sich herum und flüchtete ins Badezimmer. »Hilfe!«, brach es schrill und gellend über ihre Lippen, dann flog die Tür zu, sie drehte den Schlüssel um, lehnte stoßweise atmend an der Wand daneben - und erschrak bis in den Kern.
Es gab im Bad kein Fenster, aus dem sie die Nachbarschaft alarmieren hätte können. Das Bad lag mitten in der Wohnung und besaß nur eine Lüftungsanlage. Ihre verzweifelten Schreie würden zwischen den Mauern ihrer Wohnung ungehört verhallen.
Lisas gehetzter Blick sprang über die Einrichtung. Ihr Verstand begann zu blockieren. Die Türklinke wurde nach unten gedrückt, der Mann rüttelte an der Tür. Lisas schreckensgeweitete Augen verkrallten sich an der Klinke. Sie ging langsam nach oben und blieb in Normalstellung. Plötzlich aber begann sie sich rötlich zu verfärben, als würde das Metall zu glühen beginnen.
Lisa japste nach Luft wie eine Erstickende. Was sie sah, wollte ihr nicht in den Kopf. Das Blut drohte ihr in den Adern zu gefrieren, ihre Nackenhaare begannen sich zu sträuben. Die Klinke verformte sich etwas, und unvermittelt sprang die Tür auf.
Ein leiser Aufschrei brach sich Bahn aus Lisas Mund, der Anblick des unheimlichen Mannes im Türrechteck traf sie wie ein Schwall eiskalten Wassers. Lisa stürzte zum Waschbecken und raffte den Stielkamm an sich, der auf der Keramikkonsole lag. Ihre Hand umklammerte den Kamm so sehr, dass sich die Plastikzinken tief in ihre Handfläche gruben. Aber den Schmerz spürte Lisa nicht. Die fünfzehn Zentimeter lange, dünne Nadel funkelte matt im vagen Licht, das durch die Tür hereinfiel, in dem sich schwarz und unheilvoll die Gestalt des Fremden scharf abzeichnete.
Zitternd wie Espenlaub und jeglichen Gedankens beraubt stand Lisa vor dem Waschbecken. Jeden Moment musste sie die Beherrschung verlieren und in Hysterie ausbrechen. Das alles war für sie zu viel - sie konnte es verstandesmäßig nicht mehr erfassen. Was sie bis zu dieser Stunde für Schauermärchen gehalten hatte, war für sie zur grauenvollen Wahrheit geworden.
Dämonen, Vampire, Werwölfe, Zombies - das alles hatte für sie bis zu dieser Stunde nur im Aberglauben, in den Märchen und auf dem Bildschirm gelebt. Doch nun…
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