078 - Das Drachennest
Doch das störte mich nicht. Ich experimentierte weiter.
Es regnete nur so Einladungen, denen ich gern nachkam. Meine Beliebtheit wuchs, was nicht nur auf meine Heilerfolge zurückzuführen war. Man hörte mir gern zu. Ich hatte viel erlebt, war in der ganzen Welt gewesen und konnte amüsant plaudern.
Ich war mitten in einem Experiment, als Franca Marzi, mein Diener, das Laboratorium betrat. „Verzeiht die Störung, Herr", sagte Franca rasch. Er war ein schmächtiger Bursche, der mir treu ergeben war.
Ich seufzte. Ich hatte Franca ausdrücklich gesagt, daß ich nicht gestört werden wollte, außer es handelte sich um etwas ganz Wichtiges.
„Enrico Vitelli will Euch sprechen, Herr. Ich habe ihm gesagt, daß Ihr nicht...
„Schon gut“, sagte ich unwillig und schlüpfte aus meinem schwarzen Umhang.
Enrico Vitelli gehörte zu einer der einflußreichsten und mächtigsten Familien in Florenz. Sein Vater hatte Cosimo zur Herzogswürde verholfen.
Ich nahm eine Phiole vom Feuer, legte sie auf einen Tisch, hob bedauernd die Schultern und verließ langsam das Laboratorium. Ich konnte mir nicht erklären, weshalb mich Enrico Vitelli sprechen wollte. Sein Vater war vor zwei Tagen gestorben.
Ich betrat mein Arbeitszimmer und blieb neben der Tür stehen.
Ein hochgewachsener, dunkelgekleideter Mann stand vor dem Fenster. Er drehte sich langsam um. Sein Gesicht war bleich, die Nase wie ein Krummschwert, der Mund klein und von einem schwarzen Bart umgeben.
„Guten Tag, Herr!" sagte ich.
Enrico nickte mir mit gerunzelter Stirn zu.
„Wollt Ihr Euch nicht setzen, Herr?" fragte ich.
Er setzte sich an einen Tisch, und ich befahl Franca, Wein und Kuchen zu bringen.
„Womit kann ich Euch dienen, Herr?“
Er musterte mich genau, dann legte er beide Hände auf die Tischplatte und beugte sich vor. „Erinnert Ihr Euch an die Gesellschaft im Palazzo Strozzi vergangene Woche?"
Ich erinnerte mich.
„Ja", sagte ich leise.
Der Wein hatte damals meine Zunge gelockert, und ich hatte einige Erlebnisse zum besten gegeben, die ich normalerweise nicht ,erzählte. So hatte ich zum Beispiel von meiner Begegnung mit Dr. Dee in London berichtet. Ich war dabeigewesen, wie er auf einem einsamen Friedhof einen Toten für einige Stunden zum Leben erweckt hatte. Man hatte meine Erzählung ziemlich skeptisch aufgenommen. Ich Dummkopf hatte mich dann noch hinreißen lassen, zu behaupten, daß ich ebenfalls Tote für einige Zeit erwecken könnte.
„Vor einer Woche habt Ihr den Mund ziemlich voll genommen, da Mosto", sagte Enrico Vitelli mit krächzender Stimme. „Ihr könnt Tote erwecken, habt Ihr behauptet. Und heute werdet Ihr beweisen müssen, ob Ihr es könnt.“
„Ich soll eine Totenbeschwörung durchführen?" fragte ich mit zittriger Stimme.
Er verzog den Mund zu einem Grinsen. Seine Augen blickten mich kalt an. „Ihr sagt es. Ich will, daß Ihr meinen Vater für einige Minuten erweckt.
„Unmöglich", sagte ich leise.
Er beugte sich noch weiter vor. „Hört mir gut zu, da Mosto! Ihr habt zwei Möglichkeiten. Die erste: Ihr führt die Beschwörung durch - und habt dabei Erfolg. Die zweite: Ihr weigert Euch, dann übergebe ich Euch der Inquisition, und Ihr werdet der Hexerei angeklagt. Ihr habt die Wahl."
Ich starrte ihn unbewegt an. Der Tod ängstigte mich nicht.
Enrico Vitelli grinste böse. „Ihr braucht nicht auf Francescos Hilfe zu rechnen. Cosimo ist noch immer der Herzog der Toskana. Und er hat unserer Familie viel zu verdanken. Ihm kommt es auf einen Quacksalber mehr oder weniger nicht an."
Ich nickte. Von Francesco konnte ich in diesem Fall mit keiner Hilfe rechnen. „Ihr wißt nicht, was Ihr da von mir verlangt, Herr. Es ist gefährlich, die Ruhe der Toten zu stören."
„Dieses Risiko nehme ich auf mich“, knurrte Enrico Vitelli.
„Weshalb wollt Ihr Euern Vater...“
„Das geht Euch nichts an“, unterbrach mich Enrico scharf. „Er soll mir nur eine Frage beantworten, mehr nicht."
„Ich warne Euch nochmals, Herr", sagte ich heftig. „Es ist Wahnsinn, was Ihr von mir verlangt." „Vor einer Woche habt Ihr anders gesprochen, da Mosto." Er fixierte mich, „Wie ist Eure Entscheidung?"
„Ich führe die Beschwörung durch", sagte ich fast unhörbar. „Aber ich..."
Er stand auf. „Wann könnt Ihr die Beschwörung vornehmen?"
„Um Mitternacht", antwortete ich. „Ich benötige aber mindestens eine Stunde, um meine Vorbereitungen zu treffen."
„Gut", sagte er. „Dann kommt zwei Stunden vor
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