078 - Im Netz der Lüge
für die Gäste seines Herrn entzündet hatte.
Niemand bemerkte etwas davon, alle waren viel zu beschäftigt mit den anderen Männern, die herumschrien und wütend waren.
Es war überraschend leicht gewesen, die Kiste zu öffnen. Jemand hatte vor ihm das Schloss aufgebrochen und ein wenig Munition gegen Holz ausgetauscht.
Deshalb ließ sie sich nicht mehr richtig schließen. Er hielt das für ein Zeichen der Götter. Sie waren es wohl auch, die ihn abgehalten hatten, hinter einem Zelt neben dem Feuer zu warten, nachdem er die Munition hineingeworfen hatte. Also war er weitergelaufen und hatte den lauten Knall und die entsetzliche Hitze überlebt.
Phobos zog die Beine unter sein Kinn und wartete, bis er sah, wie der Doc das Zelt verließ. Er war freundlich zu ihm gewesen, der Doc, hatte »Guten Morgen« gesagt, wenn sie sich bei Tagesanbruch begegneten, und »Gute Nacht« , wenn er abends in sein Zelt ging. Niemand sonst hatte je »Guten Morgen« zu Phobos gesagt, weder sein Herr noch die anderen. Es war nur eine Kleinigkeit, eigentlich fast nichts, aber wenn fast nichts alles war, was die Welt zu bieten hatte, wurde es zu mehr, als man ahnen konnte. Und so hatte Phobos entschieden, dass nicht noch jemand wegen seines Herrn sterben sollte, so wie Atalana und sein Bruder Daimos gestorben waren. Es war genug.
Als sich die Abenddämmerung über den See senkte und er sicher sein konnte, dass niemand ihn bemerkte, kletterte er von seinem Baum und wandte sich nach Westen. Er hatte kein Ziel, keinen Ort, den er Wiedersehen wollte, aber es gefiel ihm, der untergehenden Sonne entgegen zu gehen. Er folgte ihr bis in die Nacht.
***
Er liebt mich. Lynne schämte sich dafür, je an der Echtheit seiner Gefühle gezweifelt zu haben. Jacob mochte manchmal den Eindruck erwecken, dass ihn nichts außer seiner eigenen Person interessierte, aber seine Taten hatten seinen Worten widersprochen.
Vollkommen uneigennützig hatte er sie gerettet und damit sogar seinen Tod riskiert, denn wer vertraute schon den Versprechen von Verrätern und Barbaren?
Lynne legte den Kopf gegen seine knochige, magere Schulter. Die Ketten, mit denen sie gefesselt waren, klirrten bei jeder Bewegung. Ursprünglich war damit die Ladung auf den Panzern gesichert worden, aber Jacob hatte sie schnell zweckentfremdet - zur Bestrafung und zum Vergnügen. Dass die Barbaren ihn jetzt in die gleichen Ketten gelegt hatten, entbehrte nicht einer gewissen Ironie, die er zweifellos erkennen würde, sobald er sein verkniffenes Schweigen aufgab und wieder mit ihr sprach.
»Jacob?« , flüsterte sie, aber er knurrte nur unwillig. Die aufgehende Sonne glättete die faltige Haut seines Gesichts und ließ ihn jünger wirken.
Lynne wollte ihn streicheln, wusste jedoch, dass ihm das nicht gefallen würde.
Sie lehnte sich zurück. Die Verräter hatten sie, Jacob und die loyalen Soldaten an einen der Panzer gekettet. Eine Zeltplane auf dem Boden und eine weitere über ihren Köpfen sollte Schutz vor Nässe und Kälte bieten, aber Lynne war trotzdem froh über jeden wärmenden Sonnenstrahl. Zwei Wachposten, unansehnliche Barbaren mit Schwertern und Drillern hockten auf den Fußballen neben dem improvisierten Zelt.
Sie saßen bereits seit Stunden da und Lynne fragte sich, wie sie das aushielten.
Einer der beiden schien ihren Blick zu bemerken, denn er drehte den Kopf und grinste. Sein Gesicht war von tiefen Narben verunstaltet. Er sagte etwas, das Lynne nicht verstand, und machte eine Handbewegung, die sie umso besser verstand. Sie wandte sich ab.
Die Soldaten hatten die Kragen ihrer Uniformjacken hochgeklappt und die Hände tief in den Taschen vergraben.
Ihre Augen waren geschlossen. Die halbe Nacht lang hatten sie leise miteinander gesprochen, hatten darüber diskutiert, wie ihre Zukunft aussehen würde und waren wohl irgendwann vor Erschöpfung eingeschlafen. Lynne selbst hatte die Nacht mit ihren Gedanken verbracht und war zu einer Entscheidung gekommen. Jacob hatte ihr auf wunderbare Weise seine Liebe gestanden.
Die Zeit war gekommen, ihm dieses Geschenk zurückzugeben und zu beweisen, dass sie ihm vollkommen vertraute.
»Jacob?«
Er ignorierte sie, aber Lynne ließ sich davon nicht beeindrucken. Die Finger ihrer künstlichen Hand berührten die Kette, zogen einen Teil davon nach vorne. Es klirrte. Sie zog ein Bein an, um die Kettenglieder vor den Blicken der Wachen zu verbergen. Der vernarbte Mann sah kurz herüber, der andere, ein junger Mann, dessen
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