0781 - Die Hexe von Hilversum
Dann schlug er zu.
Der Hieb traf Linda voll. Er schleuderte sie auf die Plattform. Das harte Metall dröhnte auf, sie lag auf dem Rücken und sah einen Fuß über ihrem Gesicht schweben.
Jan de Rijber trat nicht zu. »Nein«, sagte er. »Dein Gesicht und dein Kopf werden nach dem Aufschlag zu Brei werden. Den Tritt hier kann ich mir sparen, aber wir werden anschließend nach unten fahren und sehen, was aus dir geworden ist.«
Sie kicherte. Es kam plötzlich über sie. Erst leise, dann lauter, bis es zu einem Lachen wurde. Die drei Männer traten zurück, als hätte die Frau die Pest an sich. Niemand verstand, wieso sie im Angesicht des Todes noch lachen konnte. Diese Linda Vermool war ihnen plötzlich unheimlich geworden.
»Zerrt sie hoch!«, befahl de Rijber.
Seine Bodyguards schluckten. Sie waren es gewohnt, blindlings zu gehorchen, doch hier zögerten sie zunächst. Es war ihnen offenbar unangenehm, sich der Gestalt zu nähern und sie hochzuhieven. Linda Vermool war dem Tod geweiht, doch eine derartige Reaktion hatten sie bei einer Person, die mit dem Leben abgeschlossen haben musste, noch nicht erlebt. Sie hörten das leise Kichern, als würde sich die Vermool freuen, und beide dachten daran, dass ihr Boss von einer Hexe gesprochen hatte.
Dennoch bückten sie sich und streckten die Arme aus, während Jan de Rijber zuschaute. Sein Gesicht wirkte dabei wie eine Maske.
Er atmete schnaufend durch die Nasenlöcher und sah, wie Linda Vermool den Kopf drehte, um ihm ins Gesicht zu starren.
De Rijber wollte etwas sagen, bis er in ihre Augen schaute, die auf einmal anders blickten – fremd und irgendwie mörderisch. Grünblau schimmerten sie, eine fremde Kraft hatte sich der Pupillen bemächtigt, eine Kraft, die sich de Rijber nicht erklären konnte und die sicherlich nicht von dieser Welt stammte.
Er leckte sich über die Lippen und konnte die aufsteigende Nervosität trotz allem nicht zügeln. Kälteschauer rannen über seinen Rücken. Sein Herz schlug schneller als gewöhnlich, seine Schläfen pochten, an der Stirn spürte er ein nicht erklärbares Brennen, als hätte ein heißer Pfeil sein Gesicht gestreift.
»An den Rand mit ihr!«, keuchte er.
Seine Helfer drehten Linda herum. Sie warf den Kopf zurück und lachte. Sie spürte den Wind und hatte den Eindruck, vom Atem eines Mächtigen berührt zu werden.
Der Teufel grüßte sie!
Er ließ sie nicht allein. Er hatte ihr den Mut gegeben. Seine Stimme hatte sie in ihrem Kopf gehört. Er hatte ihr etwas zugeflüstert, über Entfernungen hinweg, die kein Mensch messen konnte.
Linda hörte ihn erneut. Leise, intensiv. Jedes Wort hämmerte in ihrem Schädel. »Du brauchst dich nicht zu fürchten. Du bist bei mir. Jeder, der zu mir gehört, muss eine Prüfung ablegen. Nun bist du an der Reihe. Keine Sorge…«
Die Stimme versickerte. Linda Vermool hatte den Eindruck, aus einer tiefen Welt wieder an die Oberfläche zu steigen, wo sie den Schrecken doppelt empfand.
Keine Stimme mehr, kein Helfer – dafür die harten Hände der beiden Männer, die sie an den äussersten Rand der Plattform schoben, von wo sie springen sollte.
Wieder spürte sie den Druck an ihren Knöcheln. Sie schaute nach unten und sah die dunklen Schlingen an ihren Füßen, die sich automatisch fester zogen.
Das war ihr Galgen!
Schlingen, auf die sie eigentlich hätte verzichten können, da das Seil sowieso zu lang war.
Linda warf einen Blick über ihre Schulter. Sehr schwach zeichnete sich die Rolle ab. Da lag das Seil. Wenn sie sprang, würde es sich aufrollen, und dann…
Linda Vermool dachte nicht mehr weiter. Sie stand am Rand der Plattform und starrte in die Tiefe.
Dunkelheit wallte ihr entgegen. Sie schien aus zahlreichen Wolken zu bestehen. Sie lockte, gleichzeitig versetzte sie Linda, die den kalten Wind in ihrem Gesicht spürte, in Panik.
Hinter ihr standen die beiden Männer. In einer sicheren Entfernung. Sie hatten die Arme angewinkelt und waren bereit, sie auf Befehl ihres Chefs in die Tiefe zu stürzen.
Sie hörte Schritte.
Jan de Rijber näherte sich. Er trat aber nicht neben sie, sondern blieb hinter ihr stehen. Leise lachte er auf. »Jetzt hast du keine Chance mehr, verfluchte Hexe.«
»Glaubst du?« Linda hatte gesprochen, und ihre Stimme klang dabei wie das hohle Echo eines Höllengelächters.
»Stoßt sie runter, verdammt!«, schrie Jan de Rijber.
Zu zweit rammten die Männer ihre Hände gegen den Rücken der Frau.
Linda kippte.
Instinktiv warf sie ihre Arme
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