0781 - Die Hexe von Hilversum
nach vorn. Sie schrie nicht, sie lachte, und dann fiel sie ins Bodenlose…
***
Es war ein Flug wie in einem Albtraum. Linda Vermool hatte das Gefühl, als würde sie nicht nach unten, sondern allein durch die Zeit segeln, in der sich alles verändert hatte.
Es war schlimm. Sie sah Bilder, Gestalten, sie entdeckte zwischen diesen skurrilen, bösartigen Figuren einen schrecklichen Kopf, dessen Form dreieckig war und aus dessen Maul ein Feueratem drang, der ihr entgegenfauchte. Doch sie fürchtete sich nicht davor, denn in diesen Augenblicken hatte sich ihr der Teufel offenbart.
Sie raste weiter nach unten. Die Arme hatte sie ausgebreitet, die Beine ebenfalls, sodass sie wie ein Fallschirmspringer wirkte.
Der Wind drückte von unten her gegen ihren Körper. Er blähte nicht nur die Kleidung auf, er schlug auch wie mit kalten Fäusten gegen ihr Gesicht, und Linda erlebte einen Schauer nach dem anderen. Irgendwann hatte sie das Gefühl, von der Luft getragen zu werden. Es war ihr, als hätte jemand den Flug abgestoppt. Die Augen hielt sie weit geöffnet. Wie Feuerkugeln brannten sie in ihrem Kopf.
Sie starrte in die Tiefe. Was war die Zeit in diesem Augenblick? Ein Nichts, einfach nicht mehr vorhanden. Sie wusste nicht einmal genau, ob sie schwebte oder fiel, aber dann tauchte etwas aus der Finsternis auf.
Grau und glatt – der Boden!
Schnell kam er näher, immer schneller. In den letzten Sekunden erlebte Linda Vermool die Angst. Nur hatte sie keine Zeit mehr, darüber nachzudenken. Ihr Körper reagierte auch nicht mehr, denn der Boden war da.
Knallhart schlug sie auf.
Linda hörte etwas platzen, krachen, glaubte, um die Hälfte kleiner zu werden, wartete auf den rasenden Schmerz, der alles vernichtete, sodass sie nur mehr als ein auf dem Boden liegender Klumpen zu erkennen war.
Ein formloses Bündel nur.
Dann wurde sie vom Gummiseil hochgerissen, fiel wieder hinab und knallte abermals auf den Betonboden.
Aber wieso lachte sie…?
***
»Sie ist unten, Chef!« Einer hatte nur gesprochen, aber beide Leibwächter drehten sich um und traten vom Rand der Plattform zurück. Der Wind peitschte gegen sie. Er kühlte den Schweiß auf ihren Gesichtern. Auch der letzte Rest des Gummiseils war von der Plattform gerutscht und pendelte zwischen dem Boden und der Plattform zuckend hin und her.
Jan de Rijber gab keine Antwort. Er starrte auf seine Schuhspitzen.
Der Wind spielte mit seinem Mantel. Einige Male schüttelte er den Kopf, worüber sich die beiden Männer wunderten. Sie wagten es nicht, ihn anzusprechen, schließlich kannten sie ihren Chef. Manchmal wollte er nicht gestört werden, und nun erlebten sie eine solche Situation. So warteten sie ab, bis ihr Chef sich wieder gefangen hatte.
Als Zeichen dafür strich er durch seine Haare, die vom Wind sofort wieder zerzaust wurden. »Ja, sie ist unten«, murmelte er. »Sie ist gesprungen, ich habe es selbst erlebt. Aber, verdammt, ich kann nicht froh darüber werden.«
Die Männer begriffen nicht. Sie hoben ihre Schultern. »Chef, weshalb denn nicht?«
»Ganz einfach.« Er trat näher, verengte die Lider zu Schlitzen, als wolle er seinem Gesicht einen nachdenklichen Ausdruck geben.
»Habt ihr gesehen, wie sie vor dem Sprung reagierte? Habt ihr euch die Hexe genau angesehen?«
»Sie drehte uns doch den Rücken zu.«
»Zuvor, meine ich.«
»Auch nicht.«
»Aber ich«, sprach Jan gegen den Wind an. »Ich habe sie genau gesehen. Ich sah ihre Augen, und sie haben mich erschreckt. Das war kein normaler Blick mehr, das war schon mehr. Ich habe ihn als einen Gruß aus der Hölle empfunden. Versteht ihr das? Als einen verfluchten Höllengruß, und ich habe mich nicht geirrt.« Die beiden Männer zeigten sich verwirrt. Schließlich wollten sie wissen, was das bedeutete.
»Das kann ich euch sagen. Diese verfluchte Person hat einen Pakt mit dem Teufel geschlossen. Sie wird von der Hölle beschützt. Sie ist eine Hexe, mein Bruder hat Recht gehabt. Ich weiß es jetzt, ich weiß es verflucht genau.«
»Aber jetzt ist sie tot, Chef!«
»Tatsächlich…?«
»Wieso? Einen Sprung wie diesen überlebt kein Mensch. Die ist nur noch Brei.«
Jan de Rijber lächelte kalt. Er enthielt sich einer Antwort, drehte sich um und schlug stattdessen vor, mit dem Aufzug nach unten zu fahren, um sich zu überzeugen.
Seine Leibwächter folgten ihm gern. Sie waren froh, diese luftige Höhe zu verlassen. Die Kranplattform war durch ein Gitter gesichert. Ein Motor sorgte für den
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