0785 - Angriff der Wölfischen
Zeiten, in denen er seinem Körper nicht extra befehlen musste, ein- und auszuatmen. Doch das war ein anderer Körper gewesen.
Und ein anderes Leben.
Der chinesische Vampir lauschte den Geräuschen des Waldes und genoss für einen Moment den Einklang mit der Natur. Doch Fu Long wusste nur zu gut, wie trügerisch dieser Frieden war. Der Rückzug nach Last Chance hatte seiner Familie eine Atempause verschafft. Jetzt war die Zeit gekommen, wieder aktiv ins Geschehen einzugreifen. Das hatte Fu Long schon vor Agkars unerwartetem Auftauchen deutlich gespürt.
Er musste nach Los Angeles und Kuang-shi aufhalten. Um jeden Preis!
Dank Lord Jeffreys glorreicher Niederlage in Venice Beach besaß Fu Long jetzt zwar eine Armee. Doch er war kein Soldat. Wenn er ehrlich war, musste sich der Vampir eingestehen, dass ihn selbst seine Aufgaben als Familienoberhaupt manchmal überforderten, seit er das Leben eines zurückgezogenen Gelehrten führte. Wie sollte er da eine Armee in die Schlacht führen?
Selbst seine Zeit als Familienoberhaupt in Kalifornien hatte ihn darauf nicht vorbereitet. Nicht bei einem Gegner wie Kuang-shi.
War es Zufall oder Schicksal, dass vor gut einem Jahr ein Vampir in Last Chance aufgetaucht war, der genau die Fähigkeiten besaß, die ihm fehlten? Und der Kuang-shi genauso hasste wie er selbst, wenn auch aus ganz anderen Gründen?
Fu Long hatte mit Friedheim Steiner einen Pakt geschlossen. Der deutsche Vampir hatte nicht nur ein jahrhundertealtes militärisches Wissen mitgebracht, sondern auch einen Trupp skrupelloser Vampirsoldaten, die bereit waren, für ihren Anführer durchs Feuer zu gehen. Friedhelm hatte ihnen befohlen, mit derselben Inbrunst Fu Long zu unterstützen. Der chinesische Vampir war sich trotzdem nicht sicher, ob er nicht einen schweren Fehler gemacht hatte. Denn Steiner verköperte eigentlich alles, was er zutiefst verabscheute. Der Deutsche litt nicht unter seiner untoten Existenz wie Fu Long. Und Menschen waren für ihn nichts anderes als Beute.
»Vater? Wir sind so weit.«
Aus seinen düsteren Gedanken aufgeschreckt, wandte Fu Long sich um. Hinter ihm hatten sich zwei Dutzend seiner Söhne und Töchter versammelt. Sie waren die letzten, die gehen würden. Die anderen waren schon in Los Angeles, wo Friedhelm und seine Männer sie zum Abschluss ihres militärischen Trainings vor Ort auf den bevorstehenden Krieg vorbereiten würden.
Vor allem in Lord Jeffreys ehemaligen Untertanen hatte der deutsche Vampirsoldat »gutes Material« gefunden, wie er es ausdrückte. Sie waren erfahrene Kämpfer, denen nur noch der richtige Schliff fehlte, bevor sie gegen Kuang-shis wolfsköpfige Armee in die Schlacht geschickt werden konnten.
Nur eine kleine Gruppe würde in Last Chance bleiben, um den Zufluchtsort der Familie zu schützen. Und falls Zamorra aus irgendeinem Grund hier anruft oder herkommt, sollte er jemanden antreffen, der weiß, wo er mich erreichen kann, dachte der Vampir.
»Sehr gut. Ich werde gleich bei euch sein«, antwortete er Paul, dem jungen Vampir, der ihn angesprochen hatte.
Fu Long sah zum Hauptgebäude der Ranch hinüber. Jin Mei stand in der Tür und blickte ihn in stummer Trauer an. Sie hatten sich bereits voneinander verabschiedet. Und seine Gefährtin hatte Fu Long noch einmal angefleht, Zamorra in seine Pläne einzuweihen. Denn Jin Mei verabscheute Friedhelm Steiner.
»Wenn du dich mit dieser Bestie verbündest, kannst du gleich einen Pakt mit Kuang-shi schließen«, hatte sie gesagt, und Fu Long konnte es ihr nicht verübeln. Aber im Kampf gegen Kuang-shi durften sie nicht zimperlich sein.
Zamorra würde das nicht verstehen, dachte Fu Long. Vielleicht habe ich aber nur Angst davor, dass er mich in meinen eigenen Zweifeln bestärken könnte.
Er zwang sich zur Konzentration auf die bevorstehende Aufgabe. Grübeleien halfen ihm dabei nicht. Der Vampir folgte Paul, der wieder seinen Platz in der ersten Reihe der militärischen Formation einnahm, die Fu Longs Kinder vor dem Hauptgebäude gebildet hatten.
Es versetzte Fu Long einen tiefen Stich, wenn er an die unzähligen Opfer dachte, die dieser Krieg kosten würde. Doch dies war nicht die Zeit für Emotionen. Sie mussten das Ende der Welt verhindern. Später würden sie genug Gelegenheit haben, die Gefallenen zu betrauern. Wenn dann noch jemand lebte, der um sie trauern konnte.
Fu Long ließ seinen Blick stumm über die Reihen schweifen.
»Ihr wisst, was euch erwartet«, sagte er dann mit seiner sanften, von
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