0786 - Ort ohne Wiederkehr
Mädchen reden wollte.
Was ihm allerdings versagt blieb.
Denn das Mädchen war verschwunden - und blieb es diesmal auch. Zamorra schaute sich um, auch über die Mauer, die den Friedhof umgrenzte, hinweg, aber er fand keine Spur von dem Kind.
»Verdammt, verarschen kann ich mich selber«, knirschte Zamorra verdrossen, ging aber mangels eines alternativen Zieles wieder in Richtung der gleich aussehenden Grabsteine. .
Im Näherkommen überschlug er ihre Zahl und kam auf weit über fünfzig. Aus irgendeinem Grund erschauerte er ob dieser Zahl. Als dämmere eine Vorahnung in ihm herauf…
Jetzt erst fiel ihm auf, dass die Einfriedungsmauer hinter diesem Teil des Gräberfelds niedergerissen worden war und man den Friedhof über die ursprüngliche Grenze hinaus vergrößert hatte. Vermutlich weil das ursprüngliche Areal zu klein gewesen war, um…
Zamorra blieb stehen. Betrachtete den nächststehenden Grabstein. Las die von nicht sonderlich kunstfertiger Hand in den dunklen Stein eingravierte Inschrift.
Henri Lacroix
geb. 12. Mai 1851
gest. 5. November 1899
In dem Grab daneben lag eine Mireille Lacroix, etwas jünger als Henri, gestorben am selben Tag.
Daneben, noch jemand namens Lacroix. Ein Kind. Noch keine neun Jahre alt an seinem Todestag - dem 5. November 1899…
Zamorra fröstelte. Es musste sich um eine Familie handeln, die gemeinsam ums Leben gekommen war, vermutete er. Vielleicht beim Brand eines Hauses.
Er ging die Gräberreihe entlang -und vergaß seine Theorie mit dem Hausbrand…
All die Menschen, die hier begraben lagen und deren Grabsteine einander so ähnlich sahen, als seien sie in Serie gefertigt worden…
... sie alle waren am 5. November 1899 verstorben.
Männer und Frauen fast jeden Alters, Kinder, kleine und große, Familien und Alleinstehende…
Und Zamorra fragte sich schaudernd: Was, um alles in der Welt, ist am 5. November 1899 in diesem Dorf Schreckliches geschehen, das so viele Menschenleben gekostet hat…?
***
Andernorts…
»Ausgerechnet jetzt!«, knurrte Asmodis und setzte noch einen Fluch in einer Sprache hinterher, die selbst in den Schwefelklüften fast vergessen war.
Er hatte Zamorras Nachricht - die ihn natürlich nicht über einen normalen Computer, sondern auf magischem Wege erreichte - nicht umgehend empfangen, weil er derzeit mit anderen Dingen vollauf beschäftigt war.
Der Meister des Übersinnlichen ersuchte ihn um ein Treffen. Er hatte nicht verlauten lassen, worum es dabei ging. Nur dass er auf eine Sache aufmerksam geworden sei, die auch ihn, Asmodis, interessieren dürfte.
»Hm«, machte der ehemalige Fürst der Finsternis. Im Augenblick konnte er sich nichts vorstellen, was ihn mehr interessieren würde als das, worauf er gerade jetzt sein ganzes Augenmerk richtete. Etwas Wichtigeres konnte es kaum geben.
In den sieben Kreisen der Hölle waren Dinge in Bewegung geraten, denen der Ex-Teufel nachgehen musste. Dringend!
Andererseits…
Vielleicht konnte er dabei Hilfe gebrauchen. Das war zwar noch nicht abzusehen, aber keineswegs auszuschließen.
Und wer wäre ein besserer Helfer gewesen als sein alter »Freund« Zamorra?
Asmodis befand, dass es nicht schaden konnte, wenigstens ein paar Minuten für seinen einstigen Erzfeind abzuzweigen. Wenn sich Gelegenheit bot, ihn sich zu verpflichten, dann hatte es sich gelohnt - und wenn ihn nicht kümmerte, was Zamorra ihm mitteilen wollte, dann konnte er sich ja gleich wieder verabschieden, um sich wieder mit der anderen Angelegenheit zu befassen.
Abgesehen davon, fand Asmodis die Kneipe des guten Mostache stets einen Abstecher wert…
»Also dann, auf, auf«, sagte der Ex-Teufel zu sich selbst, murmelte einen Zauberspruch, drehte sich dreimal um die eigene Achse und verschwand.
Zurück blieb nur der Gestank von Schwefel.
***
Auf die Frage, warum er hier festsaß und was es mit diesem Dorf genau auf sich hatte, kannte Zamorra zwar immer noch keine Antwort. Aber immerhin hatte er jetzt einen Hinweis darauf, wo er sich befand: Die Namen auf den Grabsteinen legten zumindest den Schluss nahe, dass das Dorf irgendwo in Frankreich lag - oder einst gelegen hatte…
Außerdem wusste er jetzt auch, ungefähr jedenfalls, wann er war - auf den Grabmälern war der 5. November 1899 als Sterbedatum der hier Bestatteten angegeben. Die Gräber wirkten noch recht frisch. Das hieß, es konnten seit den Beerdigungen erst ein paar Wochen, allenfalls Monate vergangen sein. Demnach befand er sich wohl im Jahr 1900 - wenn er
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