0786 - Ort ohne Wiederkehr
denn tatsächlich, und ohne es zu merken, in der Zeit zurückgereist war. Einen Beweis dafür hatte er ja nicht. Ebenso gut konnte es sein, dass die Ortschaft aus ihrer Zeit herausgelöst worden und in der Gegenwart gelandet war. Wie und aus welchem Grund âuch immer…
Innerlich seufzend musste Zamorra sich eingestehen, dass er jetzt doch nicht so viel schlauer war als zuvor. Es fehlten noch zu viele Puzzlestücke, um das Gesamtbild erkennen zu lassen. Und nur wenn er das kannte, oder wenigstens eine ziemlich genaue Vorstellung davon hatte, konnte er den Hebel ansetzen, um das Geheimnis dieses Dorfes zu lösen und…
Eine Bewegung, die er nur aus dem Augenwinkel wahrnahm, lenkte ihn von seinen ohnedies müßigen Überlegungen ab. Er drehte den Kopf. Und sah das seltsame Mädchen wieder.
Es stand nahe der Friedhofspforte, reglos und stumm wie zuvor Jetzt allerdings hielt es etwas fest, und ehe Zamorra es identifizieren konnte, holte das Mädchen aus und warf das Etwas in seine Richtung. Langsam, auf einer leichten Brise segelnd kam es in weiten Schwüngen auf ihn zu.
Eine… Papierschwalbe?
Zamorra zog die Brauen hoch. Was hatte denn das nun wieder zu bedeuten? Wollte die Kleine etwa mit ihm spielen? Danach stand ihm nun wirklich nicht der Sinn.
Er wollte gerade ansetzen, etwas zu dem Mädchen zu sagen, als der Papierflieger ihn erreichte und wie ferngelenkt genau in seiner Hand landete.
Zamorra senkte den Blick. Das Papier war rau, vergilbt und fleckig. Und bedruckt.
Der Flieger bestand aus einem Stück Zeitungspapier.
Einem plötzlichen Impuls folgend faltete Zamorra es auseinander. Dabei schaute er kurz zu dem Mädchen hinüber. Unverändert stand es an dem schmiedeeisernen Tor zum Friedhof, sah zu ihm her, wirkte wieder, als warte es auf etwas.
Konnte die Kleine vielleicht nicht sprechen?
Zamorra senkte den Blick auf den Zeitungsfetzen. Die Schlagzeile, in Französisch abgefasst, sprang ihm ins Auge: »Entsetzliches Massaker in -«. Wo sich dieses Massaker zugetragen hatte, stand nicht da; an dieser Stelle war das Blatt abgerissen. Aber Zamorra war sicher, dass dort der Name eben jenes Dorfes gestanden hatte, in dem er sich jetzt befand.
Auch der zur Schlagzeile gehörende Artikel war nicht mehr vollständig.
Rasch las Zamorra den Text, so weit er vorhanden war.
Darin war die Rede von einem Blutbad in einem Dorf an der Atlantikküste, das 67 Menschenleben gefordert hatte -weit mehr als die Hälfte aller Einwohner. Eine Erklärung gab es für das Morden offenbar nicht, keine offizielle jedenfalls. Auch der oder die Täter wurden nicht genannt. Die Ermittlungen dauerten zum Zeitpunkt der Drucklegung dieser Zeitung noch an.
Der Verfasser des Berichts hatte sich aber unter den Überlebenden des Massakers und in der Umgebung des Dorfes umgehört und dabei war der Begriff »Werk eines Dämons« gefallen. Uneins war man sich dabei aber, ob ein Dämon selbst den Massenmord verübte oder auf andere Weise dahinter steckte, indem er etwa einen oder mehrere Menschen besessen und dazu getrieben hatte.
Der Artikel war so, wie Zamorra ihn in Händen hielt, zu unvollständig, um ein komplettes Bild der Ereignisse des 5. November 1899 zu zeichnen. Doch seine Fantasie genügte leider, um diese Lücken mit grauenhaften Details zu füllen…
Er ließ den Zeitungsfetzen sinken, schluckte, um den Kloß in seinem Hals loszuwerden, vergebens jedoch. Den Blick in den Nebel gerichtet, gaukelte ihm sein inneres Auge vor zu sehen, was sich vor über hundert Jahren hier zugetragen hatte. Und er meinte, die Schreie von damals zu hören.
Nein, musste er sich schaudernd korrigieren. Das stimmte nicht…
Er glaubte nicht, die Angst- und Todesschreie jener Menschen zu hören -er hörte sie tatsächlich !
***
Aha!
Asmodis tat etwas…
Der stille Beobachter hatte mit einem Eingreifen des früheren Fürsten der Finsternis gerechnet und ihn deshalb die ganze Zeit schon im Auge behalten.
Verwunderlich fand er es allerdings, dass Asmodis nun entschieden hatte, sich erst einmal mit Zamorra zu treffen. Er hatte darauf gehofft und gebaut, dass der Erzdämon sich in die Hölle aufmachen würde, um Einfluss auf die dortigen Geschehnisse zu nehmen.
Andererseits war es in den Schwefelklüften zu einer Entwicklung gekommen, die der Beobachter ursprünglich nicht einkalkuliert hatte, die ihm aber durchaus zupass kam und vielversprechend schien.
Er war gespannt, was Calderone und Stygia unternehmen würden, nachdem das unheilige Konzil
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