0796 - Der Kristallträger
auch einige Selbstbeherrschung gehört. Doch als ich mich solchermaßen selbst überwunden hatte, war dies der erste Schritt gewesen, aus einer vornehmlich destruktiven Fähigkeit eine konstruktive zu machen.
Nur widerwillig zog ich mich aus Geoffrys Innenleben zurück, nachdem ich meine stichprobenartigen Beobachtungen abgeschlossen hatte.
„Keine Zellveränderungen durch äußere Einflüsse festzustellen", diagnostizierte ich. „Die Strahlung des COMPs hat dir nicht geschadet, soweit ich es feststellen kann. Aber dessen bedarf es gar nicht, du ruinierst dich selbst. Du baust rascher ab, Geoff, als dein Zellaktivator regenerieren kann. Ich möchte dir den dringenden Rat geben ..."
„Geschenkt!" Er schwang seine langen Beine vom Diagnosetisch und steckte die Pfeife weg. „Jetzt zu meinem zweiten Anliegen. Ich möchte, daß du mit dem COMP ebenso wie mit mir verfährst."
„Ich fürchte, ich verstehe nicht recht", sagte ich verblüfft.
„Runzel nicht die Stirn, das macht dich alt, Mädchen", meinte er. „Ich werde dir erklären, was ich will. Der COMP ist als Datenspeicher weder mit SENECA noch mit dem Shetanmargt vergleichbar. Er ist keine Positronik und auch kein ndimensionaler Rechner. Obwohl er allen uns zur Verfügung stehenden Computern überlegen ist, ist er doch kein Perpetuum mobile. Das heißt, er ist auf die Energieversorgung durch die SOL angewiesen. Das ist seine Achillesferse."
„Das alles ist uns längst bekannt", erwiderte ich. „Aber wir können daraus keinen Nutzen ziehen, weil sich der COMP diesbezüglich recht wirksam abgesichert hat. Worauf willst du also hinaus?"
„Der COMP ist dem Shetanmargt und SENECA nicht nur deshalb überlegen, weil er um vieles schneller ,denken' kann, sondern weil er auch eine emotioneil orientierte Eigeninitiative entwickeln kann. Und dieser Schöpfer- oder Lebensfunke geht zweifellos von dem ihn umspannenden und durchziehenden Kristallnetz aus."
„Du hältst den COMP für ein Lebewesen?"
„Nicht nach den herkömmlichen Kriterien", schränkte Geoffry ein. „Ganz sicher ist er auch nicht ein Wesen im Sinne von geboren, sondern er wird synthetisch erschaffen worden sein.
Vielleicht entdecken wir hier seinen zweiten wunden Punkt. Mich interessiert vor allem die Beschaffenheit der Kristalle."
„Dobrak hat diesbezüglich Schiffbruch erlitten", sagte ich. „Er konnte den COMP in keiner Weise berechnen. Wie sollte das dann mir gelingen?"
„Dobrak hat seinen n-dimensionalen Zahlenschlüssel angewandt", erklärte Geoffry geduldig. „Er kann von seiner Basis die nächsthöhere Dimension erahnen - aber von seiner Höhe sieht er nicht mehr den Boden. Eine Metabio-Gruppiererin könnte hier vielleicht mehr erkennen. Es wäre immerhin einen Versuch wert, der Struktur der COMP-Kristalle auf den Grund zu gehen."
Dem mußte ich beipflichten.
„Du kannst über mich verfügen, Geoff", sagte ich, schränkte jedoch ein: „Zuvor muß ich noch etwas erledigen. Eine wichtige Verabredung. Ich melde mich danach bei dir."
Geoffry war damit einverstanden.
„Aber laß mich nicht zu lange warten, Mädchen", sagte er zum Abschied.
*
Eigentlich wäre es meine Pflicht gewesen, über meine Bekanntschaft mit Antapex Bericht zu erstatten. Man trifft schließlich nicht alle Tage einen parapsychisch begabten Einsiedler auf der SOL.
Aber ich wollte nichts überstürzen, sondern Antapex die Möglichkeit geben, sich an den Umgang mit Menschen zu gewöhnen. Es wäre psychologisch falsch gewesen, ihn abrupt an die Öffentlichkeit zu zerren.
Deshalb hatte ich nicht einmal Geoffry gegenüber meine Entdeckung erwähnt.
Gleich nachdem Geoffry gegangen war, machte ich mich auf den Weg zu den Laderäumen der SZ-1. Ich war ziemlich aufgeregt, schwankte zwischen Zweifel und Hoffnung.
Wenn sich nun Antapex vor mir. versteckte? Er war scheu, und vielleicht war seine Angst vor Fremden immer noch größer als das Zutrauen zu mir.
Die Möglichkeit, daß ich einer Täuschung zum Opfer gefallen war, konnte ich nicht ganz ausschließen. Plötzlich war ich mir meiner Sache nicht mehr sicher. Aber selbst wenn Antapex die Fähigkeit der Selbstregeneration nicht besaß und mir nur irgend etwas vorgegaukelt hatte, so mußte er zumindest die Gabe der Suggestion besitzen.
Aber warum hätte er mich überhaupt täuschen sollen?
Da fiel mir ein, daß ich mich überhaupt nicht um die abgetrennte Hand gekümmert hatte.
Ich kam zu dem Lagerraum. Das Schott war geschlossen. Ich öffnete es.
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