08 - Der zeitlose Raum
wir packen erst mal zusammen.«
Der junge Mann half ihm, die Geräte und alles andere, was sie heraufgebracht hatten, aufzulesen und nach unten zu schaffen. Wieder im Bunker, pflasterte Tom den Boden mit Landkarten in zunehmend größeren Maßstäben und machte sich ans Vermessen und Zeichnen.
***
Draußen hatte sich längst die Nacht über Oake Dún gesenkt. Hinter Tom war Maria Luisa am Tisch auf der Eckbank eingedöst, und auch Abby fielen fast die Augen zu; eigentlich hielt sie sich nur noch an ihrem Rotweinglas fest.
Tom nahm es mit einem Lächeln zur Kenntnis, als er mit einer seiner Karten an den Tisch trat. Früher hatten sie manchmal miteinander so dagesessen, nichts getan, nur einen guten Schluck und die Ruhe genossen, weil sie wussten, wie selten es in ihrem Leben ruhig zuging.
Ihm kam es vor, als sei das nicht schon ewig her, sondern erst gestern gewesen. Aber das mochte daran liegen, dass er inzwischen angefangen hatte, in einem anderen, größeren Zeitrahmen zu denken.
Er bremste den Gedanken. Weil er wusste, wo er hinführte – an einen Punkt, der immer noch ein wunder war und wehtat …
»Guck dir das an«, sagte er und breitete die Karte auf dem Tisch aus. Abby öffnete die Augen. Maria Luisa nicht.
Er hatte seine Peilungen, die er zunächst in mühseliger, zeitaufwändiger Arbeit auf Detailkarten eingezeichnet hatte, auf eine andere übertragen, die den Ausschnitt des Globus zeigte, der zwischen dem jeweils 40. Längengrad Ost und West lag. Das Segment begann oben mit einem kleinen Teil von Grönland, der Norwegischen See, dann kamen die britischen Inseln und ein großer Teil des europäischen Kontinents, darunter fast ganz Afrika; und das Dronning Maud Land in der Antarktis schloss dieses Stück der Welt unten ab.
Die Linie, die Tom von Oake Dún aus beginnend berechnet und eingezeichnet hatte, führte ganz leicht schräg nach Südsüdost verlaufend nach unten und endete fast exakt dort, wo am Kartenrand der Nullmeridian markiert war.
Das war Tom auffällig vorgekommen, und er hatte eine Weile gerätselt, was das bedeuten konnte. Warum wies der Armreif auf den »Endpunkt«, wenn man so wollte, des Greenwich-Meridians? Diese Linie war zum einen erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts festgelegt worden, und zum anderen war diese Festlegung willkürlich geschehen, weil man sich eben für die Meridianebene der Londoner Sternwarte Greenwich entschieden hatte. Der Armreif aus dem Mayagrab war aber viel älter.
Tom hatte beschlossen, diese Feststellung wenigstens erst einmal als Zufall abzutun und nach anderen Auffälligkeiten zu suchen. Welche Punkte kreuzte die Pfeillinie noch? Und er war fündig geworden …
»Ich glaub, ich hab da was«, sagte er zu Abby, als sie ihm wach genug schien, um seinem Finger zu folgen, den er von der schottischen Nordküste aus an seiner Linie entlang schob, allerdings gar nicht mal weit, bis er ihn unterhalb eines Punktes zur Ruhe kommen ließ, den er rot markiert und beschriftet hatte.
Abby blies sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und hob verwundert die Augenbrauen. »Das kann ein Zufall sein«, meinte sie.
»Kann, muss aber nicht«, hielt Tom dagegen.
»Ich tendiere zu ›muss‹. Denn was soll das«, sie zeigte nun ebenfalls auf die rote Markierung, »mit einem Armreif oder generell einem Geheimnis der Maya zu tun haben? Das hier«, sie tippte auf die Karte, »ist viel, viel älter als die Maya.«
»Das nehmen wir an.« Tom hob belehrend den Finger. »Aber vielleicht irren wir uns ja.«
Abby schüttelte müde den Kopf. »Ich finde deine Schlussfolgerung gewagt, gelinde ausgedrückt – nicht gelinde ausgedrückt finde ich sie an den Haaren herbeigezogen.«
»Sie ist momentan die einzige Spur, die ich habe – und die sich auch nur annähernd als Spur bezeichnen lässt. Mit de Landas Aufzeichnungen kann ich ohne Übersetzungshilfen nichts anfangen.«
»Trotzdem …«
Tom zwinkerte seiner Exfrau zu. »Komm schon, du könntest mir wenigstens ein bisschen Mut machen, hm?« Er streckte die Hand aus, um ihr das rote Haar, das ihr wieder in die Stirn gefallen war, hinters Ohr zu streichen. Sie schien kurz zurückzucken zu wollen, ließ ihn dann aber gewähren und brachte sogar selbst ein kleines Lächeln zustande.
»Yay, Tom! Go, Tom, go!«, tat sie ihm den Gefallen.
»Na, siehst du? Geht doch.« Er ließ seine Hand noch eine Sekunde an ihrer Wange. Dann räusperte er sich, packte sein Kartenmaterial zusammen und lud sich Maria Luisa auf die
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