08-Die Abschussliste
miteinander, dann zieht der hintere Kerl eine Waffe und schießt. Wobei übrigens Brubakers Armbanduhr getroffen wird. Die Polizei vermutet, dass er das linke Handgelenk auf dem Lenkrad liegen hatte, wie’s manche Leute tun, wenn sie im Auto sitzen. Jedenfalls sackt er zusammen. Sie ziehen ihn aus dem Wagen, hieven ihn in den Kofferraum ihres Autos, fahren ihn nach Columbia und lassen ihn dort zurück.«
»Mit Dope und einem Haufen Geld in der Tasche.«
»Wo dieses Zeug her ist, steht noch nicht fest.«
»Warum haben die Mistkerle seinen Wagen nicht weggefahren?«, fragte ich. »Kommt einem irgendwie dumm vor, die Leiche nach South Carolina zu schaffen und den Wagen stehen zu lassen.«
»Das weiß niemand. Vielleicht wär’s zu auffällig gewesen, einen Wagen mit zersplitterter Windschutzscheibe zu fahren. Oder vielleicht nur, weil Mistkerle eben manchmal dumm sind.«
»Hast du notiert, was Mrs. Brubaker über die Anrufe gesagt hat, die er bekommen hat?«
»Am vierten Januar nach dem Abendessen?«
»Nein, früher«, erwiderte ich. »An Silvester. Ungefähr eine halbe Stunde nachdem alle sich an den Händen gehalten und ›Auld Lang Syne‹ gesungen haben.«
»Schon möglich. Ich hab ziemlich alles notiert. Ich könnte mal nachsehen.«
»Beeil dich«, bat ich. »Ich rufe von einem Münztelefon aus an.«
Ich hörte, wie er den Hörer auf den Schreibtisch legte und mit Papier raschelte. Ich warf noch zwei Quarter ein. Für Telefonate hatten wir schon zwei Bucks ausgegeben. Plus zwölf für Essen und fünfzehn fürs Zimmer. Wir verfügten noch über achtzehn Dollar, von denen ich demnächst weitere zehn für Sprit ausgeben würde - hoffentlich schon bald.
Ich hörte, wie Sanchez den Hörer wieder vom Schreibtisch nahm.
»Okay, Silvester«, begann er. »Sie hat gesagt, er sei gegen halb eins von der Tanzfläche weg ans Telefon geholt worden, worüber sie ein bisschen sauer gewesen sei.«
»Hat er irgendwas vom Inhalt des Anrufs erzählt?«
»Nein. Aber sie hat erwähnt, er habe danach besser getanzt. Als sei er irgendwie erregt, aufgekratzt.«
»Das konnte sie daraus schließen, wie er getanzt hat?«
»Sie waren lange verheiratet, Reacher. Da lernt man einander kennen.«
»Okay«, sagte ich. »Danke, Sanchez. Ich muss weiter.«
»Sei vorsichtig.«
»Bin ich immer.«
Ich hängte ein und ging zurück zum Tisch.
»Was nun?«, fragte Summer.
»Jetzt gehen wir dahin, wo Frauen sich ausziehen«, antwortete ich.
Der Weg vom Schnellrestaurant über den Parkplatz zur Salonbar war nicht weit. Vor dem Striplokal parkten nur wenige Autos. Es war noch früh. Erst in ein paar Stunden würde hier wirklich was los sein. Die Einheimischen befanden sich noch zu Hause, aßen zu Abend, sahen sich die Sportschau an. Die Männer aus Fort Bird kamen erst aus der Kantine, duschten, zogen sich um, bildeten
Fahrgemeinschaften und bestimmten den jeweiligen Fahrer, der nüchtern bleiben musste. Trotzdem behielt ich die Umgebung im Auge. Ich wollte keiner Horde von Delta-Soldaten über den Weg laufen. Ich durfte keine kostbare Zeit vergeuden.
Wir betraten das Lokal. Hinter der Kasse saß ein neues Gesicht. Vielleicht ein Freund oder Verwandter des fetten Typen. Ich kannte ihn nicht. Er kannte mich nicht. Und wir trugen Kampfanzüge. Ohne Kennzeichnung der Einheit. Ohne Hinweis darauf, dass wir Militärpolizisten waren. Deshalb grinste der neue Mann freundlich, als wir hereinkamen.
Das Lokal war ziemlich leer. So sah es völlig anders aus. Es wirkte kalt wie eine Fabrikhalle. Ohne die Menschenmenge klang die Musik lauter und blecherner. Im Augenblick trat nur eine Stripperin auf. Sie war auf der Hauptbühne in warmes rotes Licht getaucht, aber sie wirkte distanziert und teilnahmslos. Ich sah, wie Summer sie beobachtete. Ich hatte sie gefragt: Was wollen Sie machen? Verhungern? Als Sins Kollegin in dem Striplokal arbeiten? Aus der Nähe betrachtet war das keine sehr verlockende Alternative.
»Wozu sind wir eigentlich hier?«, fragte sie
»Um den Schlüssel zu bekommen«, sagte ich. »Um meinen größten Fehler auszubügeln.«
»Welcher war das?«
»Wart’s ab«, sagte ich.
Ich ging außen herum zur Garderobentür. Klopfte zweimal an. Eine Stripperin, die ich nicht kannte, öffnete. Sie blieb hinter der Tür und streckte nur den Kopf heraus. Vielleicht hatte sie nichts an.
»Ich muss Sin sprechen«, sagte ich.
»Sie ist nicht da.«
»Doch, sie ist da«, sagte ich. »Sie muss ihre Weihnachtsschulden
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