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08-Die Abschussliste

08-Die Abschussliste

Titel: 08-Die Abschussliste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Child
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Generalstabs der Army. Er trug den großen Gesellschaftsanzug in Blau mit kurzer taillierter Jacke. Blaue Hose mit doppelter Goldborte. Eine Frackschleife. Goldene Manschettenknöpfe. Prächtige goldene Schulterstücke. Dazu alle möglichen goldenen Abzeichen, eine Schärpe und eine Spange mit Orden in Miniaturausführung. Er hatte volles graues Haar, war knapp eins achtzig groß und achtzig Kilo schwer. Genau die Durchschnittsgröße der modernen Army.
    Als er bis auf drei Meter an mich herangekommen war, nahm ich Haltung an und grüßte zackig. Das war ein reiner Reflex. Er erwiderte meinen Gruß nicht, sah mich nur an. Vielleicht gab es eine Vorschrift, die das Grüßen im Gesellschaftsanzug verbot.
    Er streckte mir die Hand entgegen.
    »Tut mir Leid, dass ich zu spät komme«, sagte er. »Ich war im Weißen Haus. Zu einem Staatsbankett mit ausländischen Freunden.«
    Ich schüttelte ihm die Hand.
    »Kommen Sie, wir gehen in mein Büro«, sagte er.
    Er führte mich an dem Kontrollpunkt vorbei. Wir bogen links auf den Korridor ab und gingen ein Stück weit. Dann betraten wir eine Bürosuite, in der die Frau mit der Washingtoner Stimme saß. Sie sah ziemlich genau so aus, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Aber ihre Stimme klang in natura noch angenehmer als am Telefon.
    »Kaffee, Major?«, fragte sie.
    Es gab frischen Kaffee. Wahrscheinlich hatte sie die Maschine kurz vor vierundzwanzig Uhr eingeschaltet, damit er genau um Mitternacht fertig war. In der Bürosuite des Generalstabschefs musste bestimmt alles auf die Minute genau klappen. Sie reichte mir eine Tasse aus fast durchsichtigem chinesischem Porzellan. Ich hatte Angst, ich könnte sie wie eine Eierschale brechen. Die Frau trug Zivil: ein dunkles Kostüm mit einem so strengen Schnitt, dass es formeller als jede Uniform wirkte.
    »Hier hinein«, sagte der Chef des Generalstabs.
    Er führte mich in sein erstaunlich schlichtes Büro. Die Wände
bestanden aus dem gleichen Sichtbeton wie im Rest des Gebäudes. Er hatte den gleichen Stahlschreibtisch wie der Pathologe in Fort Bird.
    »Nehmen Sie Platz«, sagte er. »Wir wollen die Sache zügig abhandeln. Es ist schon spät.«
    Ich schwieg. Er musterte mich.
    »Ich habe Ihre Nachricht erhalten«, sagte er. »Erhalten und verstanden.«
    Ich schwieg. Er versuchte, das Eis zu brechen.
    »Noriegas engste Mitarbeiter sind noch auf freiem Fuß«, erklärte er. »Worauf führen Sie das zurück?«
    »Fünfundsiebzigtausend Quadratkilometer«, antwortete ich. »Da kann man sich leicht verstecken.«
    »Kriegen wir sie alle?«
    »Auf jeden Fall«, sagte ich. »Irgendjemand verrät sie für Geld.«
    »Sie sind ein Zyniker.«
    »Ein Realist.«
    »Was haben Sie mir zu sagen, Major?«
    Ich nahm einen kleinen Schluck Kaffee. Die Beleuchtung war gedämpft. Mir wurde plötzlich bewusst, dass ich mitten in der Nacht in einem der sichersten Gebäude der Welt dem mächtigsten US-Soldaten gegenübersaß und im Begriff war, schwere Vorwürfe zu erheben. Und dass ich mich hier befand, wusste nur ein einziger anderer Mensch, der jetzt vielleicht schon in irgendeiner Arrestzelle saß.
    »Bis vor zwei Wochen war ich in Panama«, begann ich. »Dann wurde ich versetzt.«
    »Worauf führen Sie das zurück?«
    Ich holte tief Luft. »Ich glaube, der Vizechef wollte bestimmte Leute an bestimmten Orten stationiert haben, weil er fürchtete, es könnte Schwierigkeiten geben.«
    »Was für Schwierigkeiten?«
    »Einen internen Coup Ihrer alten Kameraden in der Panzertruppe.«

    Er schwieg eine Weile.
    »Wäre das eine realistische Sorge gewesen?«, fragte er dann.
    Ich nickte. »Am Neujahrstag sollte in Fort Irwin eine Kommandeurstagung stattfinden. Die Tagesordnung war, wie ich glaube, kontrovers, wahrscheinlich illegal, vielleicht sogar hochverräterisch.«
    Der Generalstabschef schwieg.
    »Aber sie musste abgesagt werden«, fuhr ich fort. »Wegen General Kramers Tod. Aber der Fallout hätte möglicherweise Schwierigkeiten machen können. Deshalb haben Sie persönlich eingegriffen und Oberst Garber beim Hundertzehnten abgelöst und durch einen unfähigen Mann ersetzt.«
    »Wozu hätte ich das tun sollen?«
    »Damit alles seinen natürlichen Verlauf nehmen konnte und die Ermittlungen im Sand verlaufen würden.«
    Er schwieg erneut. Dann lächelte er.
    »Gute Analyse«, meinte er. »Der Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums musste zu Spannungen innerhalb des US-Militärs führen. Diese Spannungen würden sich in allen möglichen internen Manövern

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