08-Die Abschussliste
wenn ich mich recht erinnere. Habt ihr also viele hohe weibliche Offiziere?«
»Wir haben dort jetzt eine Schule für psychologische Kriegsführung«, sagte ich. »Der Lehrkörper besteht zur Hälfte aus Frauen.«
»Dienstgrad?«
»Ein paar Hauptleute, ein paar Majore, zwei oder drei Oberstleutnante.«
»Was war in dem Aktenkoffer?«
»Die Tagesordnung für die Konferenz in Kalifornien«, antwortete ich. »Kramers Stabsoffiziere behaupten, es habe keine gegeben.«
»Es gibt immer eine Tagesordnung«, meinte Joe.
»Ja, ich weiß.«
»Nimm dir die Majore und die Oberstleutnante vor«, sagte er. »Das wäre mein Ratschlag.«
»Danke.«
»Und stell fest, wer dich in Bird haben wollte«, sagte er. »Und wozu. Der Fall Kramer hat nichts damit zu tun. Das steht eindeutig fest. Als dein Versetzungsbefehl rausgegangen ist, war Kramer noch gesund und munter.«
Wir lasen einen Tag alte Exemplare von Le Matin und Le Monde . Ungefähr auf halber Strecke über dem Atlantik begannen wir französisch zu sprechen. Unser Französisch war ziemlich eingerostet, aber wir kamen zurecht. Hat man’s einmal gelernt,
vergisst man’s nie mehr. Er fragte mich nach Freundinnen. Wahrscheinlich hielt er das für ein passendes Thema, um auf Französisch darüber zu reden. Ich erzählte ihm, dass ich in Korea eine Freundin gehabt hatte - aber seit damals war ich auf die Philippinen, anschließend nach Panama und jetzt nach North Carolina versetzt worden, sodass ich nicht damit rechnete, sie je wiederzusehen. Ich erzählte ihm von Leutnant Summer. Das schien ihn zu interessieren. Er erzählte mir, er habe im Augenblick keine feste Freundin.
Dann wechselte er wieder ins Englische und wollte wissen, wann ich zuletzt in Deutschland gewesen sei.
»Vor einem halben Jahr.«
»Dort geht eine Ära zu Ende«, erklärte er. »Deutschland bekommt die Wiedervereinigung. Frankreich wird neue Atomtests durchführen, weil ein wiedervereinigtes Deutschland schlimme Erinnerungen weckt. Dann wird es eine gemeinsame europäische Währung vorschlagen, um Deutschland stärker in die Gemeinschaft einzubinden. Heute in zehn Jahren ist Polen in der NATO, und die Sowjetunion wird nicht mehr existieren. Jedenfalls nur noch als Rumpfstaat. Und der ist vielleicht auch NATO-Mitglied.«
»Vielleicht«, sagte ich.
»Also hat Kramer einen guten Zeitpunkt für seinen Abgang gewählt. In Zukunft wird alles anders.«
»Wahrscheinlich.«
»Was hast du vor?«
»Wann?«
»Es wird einen Streitkräfteabbau geben, Jack. Darauf solltest du dich einstellen. Sie behalten keine Million Mann unter Waffen - nicht, wenn der Ostblock zerfällt.«
»Er ist noch nicht zerfallen.«
»Aber das tut er demnächst. Du wirst sehen, in einem Jahr ist Schluss damit. Gorbatschow kann sich nicht halten. Es wird einen Staatsstreich geben. Die Altkommunisten werden sich ein letztes Mal aufbäumen, aber das nutzt ihnen nichts mehr. Dann
sind endgültig die Reformer dran. Wahrscheinlich unter Jelzins Führung. Er ist in Ordnung. Deshalb wird die Versuchung, Geld zu sparen, in Washington übermächtig werden. Das wäre dann wie hundert Weihnachten auf einmal. Du darfst nie vergessen, dass dein Oberbefehlshaber in erster Linie Politiker ist.«
Ich dachte wieder an die Sergeantin mit dem kleinen Sohn.
»Das passiert höchstens allmählich«, sagte ich.
Joe schüttelte den Kopf. »Es geht viel schneller, als du denkst.«
»Es wird immer Feinde geben«, meinte ich.
»Ohne Frage«, sagte er. »Aber das werden andere sein. Keine, die zehntausend Panzer am Eisernen Vorhang stationiert haben.«
Ich schwieg.
»Du solltest rauskriegen, warum du in Bird bist«, wiederholte Joe. »Dort ist entweder nichts Besonderes los, was bedeutet, dass du auf dem Weg nach unten bist, oder dort passiert etwas, für das du gebraucht wirst, was heißt, dass du auf dem Weg nach oben bist.«
Ich sagte nichts.
»So oder so solltest du’s herausfinden«, fuhr er fort. »Ein Streitkräfteabbau kommt unweigerlich, und du musst wissen, ob du auf dem Weg nach unten oder nach oben bist.«
»Cops werden immer gebraucht«, entgegnete ich. »Wird die Army auf zwei Mann reduziert, sollte einer der beiden ein Militärpolizist sein.«
»Ein Plan wäre sinnvoll«, sagte er.
»Ich mache nie Pläne.«
»Das musst du aber.«
Ich fuhr mit den Fingerspitzen über meine Ordensbänder.
»Die haben mir diesen Sitz in der ersten Klasse eingebracht«, erklärte ich. »Vielleicht erhalten sie mir auch meinen Job.«
»Schon
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