08-Die Abschussliste
Ärzte verstehen sich nicht sehr gut darauf, einem schlechte Nachrichten beizubringen. Sie reden bloß um den heißen Brei herum. Außerdem spielt natürlich die Privatsphäre eine Rolle.«
»Aber wir sind aus einem bestimmten Grund nach drüben unterwegs.«
Joe nickte. »Er hat davon gesprochen, dass ein Besuch angebracht wäre. Und dann hat er angedeutet, wir sollten möglichst bald kommen.«
»Was sagt sie dazu?«
»Dass alles viel Lärm um nichts ist, sie sich aber immer über unseren Besuch freut.«
Wir beendeten unser Frühstück, das ich bezahlte. Dann gab Joe mir mein Ticket, als erbringe er damit eine Gegenleistung. Ich war mir sicher, dass er mehr verdiente als ich - aber vermutlich nicht so viel, dass ein Flugticket einem Teller Spiegeleier mit Schinken und Toast entsprach. Doch ich akzeptierte den Tausch. Wir standen auf und machten uns auf den Weg zum Check-in-Schalter.
»Zieh deinen Mantel aus«, forderte er mich auf.
»Wozu?«
»Die Ground Hostess soll deine Orden sehen«, meinte er. »Militäreinsatz in Übersee, vielleicht bringt uns das ein Upgrade ein.«
»Wir fliegen mit Air France«, sagte ich. »Frankreich ist nicht mal Mitglied der NATO.«
»Aber die Leute am Schalter sind Amerikaner«, sagte er. »Versuch’s wenigstens.«
Ich zog meinen Mantel aus. Legte ihn über den Arm und schob beim Gehen die linke Brustseite vor.
»Besser?«, fragte ich.
»Perfekt«, antwortete er und lächelte.
Ich lächelte ebenfalls. Von links nach rechts trug ich in der obersten Reihe den Silver Star, die Defense Superior Service Medal und die Legion of Merit. In der zweiten Reihe folgten die Soldier’s Medal, der Bronze Star und das Purple Heart. Die beiden unteren Reihen enthielten die Schrottauszeichnungen. Das ganze Zeug hatte ich mir rein zufällig verdient, und keiner dieser Orden bedeutete mir sonderlich viel. Ihr einziger Wert bestand darin, mit ihnen beim Einchecken ein Upgrade rauszuholen. Aber Joe gefielen die beiden oberen Reihen. Er selbst war fünf Jahre beim militärischen Nachrichtendienst gewesen und nie über die Schrottauszeichnungen hinausgekommen.
Wir erreichten das Ende der Warteschlange. Er legte zu Reisepass und Flugticket seinen Dienstausweis aus dem Finanzministerium auf die Theke. Dann trat er hinter mich. Ich zeigte meinen Pass und mein Ticket vor. Joe rempelte mich von hinten
an. Ich drehte mich ein wenig nach rechts und fixierte den Angestellten.
»Haben Sie vielleicht zwei Sitze mit etwas mehr Beinfreiheit für uns?«, fragte ich ihn.
Er war ein kleiner Mann, nicht mehr jung, müde. Er blickte zu uns auf. Gemeinsam waren wir fast vier Meter groß und wogen ungefähr zweihundert Kilo. Er studierte den Dienstausweis aus dem Finanzministerium, begutachtete meine Uniform, klapperte auf seiner Tastatur herum und rang sich ein Lächeln ab.
»Wir setzen Sie nach vorn, Gentlemen«, sagte er.
Joe stieß mich noch mal von hinten an, und ich wusste, dass er lächelte.
Wir saßen in der letzten Reihe der ersten Klasse und unterhielten uns, mieden aber das nahe liegende Thema. Wir sprachen über Musik, dann über Politik. Wir frühstückten zum zweiten Mal. Wir tranken Kaffee. Bei Air France gibt’s in der ersten Klasse ziemlich guten Kaffee.
»Wer war der General?«, fragte Joe.
»Ein Kerl namens Kramer«, antwortete ich. »Panzerkommandeur in Europa.«
»Panzertruppe? Was hat er in Bird gemacht?«
»Er war nicht auf dem Stützpunkt, sondern in einem dreißig Meilen weit entfernten Motel. Rendezvous mit einer Frau. Wir glauben, dass sie mit seiner Aktentasche abgehauen ist.«
»Zivilistin?«
Ich schüttelte den Kopf. »Vermutlich eine Offizierin aus Bird. Er hätte auf dem Flug zu einer Tagung in Kalifornien in Washington übernachten sollen.«
»Das ist ein Umweg von dreihundert Meilen.«
»Zweihundertachtundneunzig.«
»Aber ihr wisst nicht, wer sie ist?«
»Sie muss einen höheren Dienstgrad haben. Sie ist mit ihrem eigenen Humvee zum Motel rausgefahren.«
Joe nickte. »Dann muss er ziemlich hoch sein. Kramer kannte sie bestimmt schon länger, wenn er ihretwegen fünfhundertsechsundneunzig Meilen Umweg auf sich genommen hat.«
Ich lächelte. Jeder andere hätte sechshundert Meilen Umweg gesagt. Nur mein Bruder nicht. Wie ich besaß er keinen zweiten Vornamen. Aber Pedant wäre richtig gewesen. Joe »Pedant« Reacher.
»In Bird gibt’s noch immer nur Infanterie, stimmt’s?«, fragte er. »Ein paar Ranger und Delta Force, aber überwiegend Infanterie,
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