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08-Die Abschussliste

08-Die Abschussliste

Titel: 08-Die Abschussliste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Child
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möglich«, sagte Joe. »Aber wird das noch ein Job sein, den du haben willst, wenn sie’s tun? Alles wird schrecklich zweitklassig werden.«

    Mein Blick fiel auf seine Manschetten. Sie waren blütenweiß, frisch gestärkt und mit dezenten Manschettenknöpfen aus Silber und schwarzem Onyx geschlossen. Seine Krawatte bestand aus reiner Seide. Er hatte sich sorgfältig rasiert. Die unteren Enden seiner Koteletten waren exakt quadratisch geschnitten. Dieser Mann hatte einen Horror vor allem, was nicht absolut perfekt war.
    »Ein Job ist ein Job«, sagte ich. »Ich bin nicht wählerisch.«
     
    Den Rest des Flugs verschliefen wir. Wir wachten erst wieder auf, als die Lautsprecherstimme des Piloten ankündigte, wir befänden uns im Landeanflug zum Flughafen Roissy-Charles de Gaulle. In Paris war es bereits zwanzig Uhr. Fast der ganze zweite Tag des neuen Jahrzehnts hatte sich wie eine Luftspiegelung aufgelöst, während wir über dem Atlantik durch eine Zeitzone nach der anderen gedüst waren.
    Wir wechselten etwas Geld um und gingen zum Taxistand. Die Schlange aus Reisenden und Gepäck war ungefähr eine Meile lang. Da sie sich kaum bewegte, suchten wir uns eine Navette, wie die Franzosen den Shuttlebus zum Flughafen nennen. Wir mussten auf der ganzen Fahrt durch die trostlosen nördlichen Vorstädte und ins Stadtzentrum hinein stehen. Als wir an der Place de l’Opéra ausstiegen, war es einundzwanzig Uhr. Paris wirkte düster, feucht und kalt. In Cafés und Restaurants brannte warmes Licht hinter angelaufenen Scheiben. Die nassen Straßen waren dicht von kleinen Autos gesäumt. Auf ihrem Lack hatte der Nebel sich in kleinen Wassertropfen niedergeschlagen. Wir gingen nebeneinander nach Südwesten und überquerten die Seine auf dem Pont de la Concorde. Bogen dahinter nach Westen ab und folgten dem Quai d’Orsay. Der Fluss rauschte dunkel und träge dahin. Auf dem Wasser bewegte sich nichts. Die Straßen waren leer. An diesem Abend schien kaum ein Mensch unterwegs zu sein.
    »Sollten wir Blumen kaufen?«, fragte ich.
    »Zu spät«, antwortete Joe. »Alles ist schon zu.«

    Wir bogen an der Place de la Résistance links ab und gingen die Avenue Rapp entlang. Als wir die Rue de l’Université überquerten, sahen wir rechts von uns den Eiffelturm. Er war golden angestrahlt. Dann erreichten wir das Haus, in dem unsere Mutter wohnte: ein bescheidenes fünfstöckiges Apartmentgebäude, das zwischen zwei prächtigeren Jugendstilfassaden eingeklemmt war. Joe zog die linke Hand aus der Manteltasche und sperrte die Tür auf.
    »Du hast einen Schlüssel?«, sagte ich erstaunt.
    Er nickte. »Den habe ich schon immer.«
    Hinter der Tür führte ein gepflasterter Durchgang in den Innenhof. Die Loge der Concierge lag links neben der Haustür. Ihr gegenüber befand sich eine Nische mit einem kleinen, langsamen Aufzug. Wir fuhren in den vierten Stock hinauf. Betraten einen hohen, breiten Korridor. Er war nur schwach beleuchtet. Die dekorativen, dunklen Bodenfliesen glänzten. Das Apartment rechts hatte eine zweiflüglige, hohe Eichentür mit einem diskreten Messingschild, auf dem M. & Mme. Girard eingraviert war. Auf dem Namensschild an der linken, in gebrochenem Weiß lackierten Wohnungstür, stand Mme. Reacher.
    Wir klingelten und warteten.

6
    Wir hörten langsam schlurfende Schritte näher kommen, und einen langen Augenblick später öffnete unsere Mutter die Tür.
    »Bon soir, maman«, sagte Joe.
    Ich starrte sie an.
    Sie war sehr abgemagert und grau geworden, hielt sich schlecht und sah ungefähr hundert Jahre älter aus als bei meinem letzten Besuch. Sie hatte einen langen Gehgips am linken Bein und stützte sich auf eine Gehhilfe aus Aluminium. Ihre Hände umklammerten die Griffe so fest, dass die Knochen,
Adern und Sehnen hervortraten. Sie zitterte sichtbar. Ihre Haut wirkte fast durchscheinend. Nur ihre Augen waren noch so, wie ich sie in Erinnerung hatte; blau, heiter und leicht amüsiert.
    »Joe«, sagte sie. »Und Reacher.«
    Mich sprach sie immer mit dem Familiennamen an. Wie das gekommen war, wusste niemand mehr. Vielleicht hatte ich als kleiner Junge selbst damit angefangen, oder sie hatte einfach damit weitergemacht, wie’s Familienangehörige manchmal tun.
    »Meine beiden Jungs«, sagte sie. »Das ist aber eine Überraschung!«
    Sie sprach langsam und als wäre sie außer Atem, aber sie lächelte dabei glücklich. Wir traten ein und umarmten sie. Sie fühlte sich kalt, gebrechlich und federleicht an. Ich hatte den

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