08-Die Abschussliste
dass sie ihn jedenfalls nicht deshalb ermordet haben. Alles sollte so aussehen, als sei dies das Tatmotiv gewesen. Aber das haben sie nicht empfunden . Deshalb haben sie’s in ziemlich unsicherer Manier mit den Hinweisen übertrieben.«
Dann machte ich eine Pause.
»Auf ziemlich akademische Weise«, sagte ich.
»Auf akademische Weise?«, fragte sie.
»Werden hier an der Schule nicht auch solche Dinge unterrichtet?«
»Wir lehren nicht, wie man Leute tötet«, antwortete sie.
»Das habe ich nicht gefragt.«
Sie nickte. »Wir sprechen darüber. Das müssen wir. Den Feind zu kastrieren ist ungefähr das Elementarste, was man ihm antun kann. Das zieht sich durch die gesamte Menschheitsgeschichte. Es ist überall in Vietnam passiert. Afghanische Frauen haben es im letzten Jahrzehnt gefangenen russischen Soldaten angetan. Wir sprechen darüber, was es symbolisiert, was es mitteilen und welche Ängste es erzeugen soll. Es gibt ganze Bücher über die Angst vor grotesken Verstümmelungen, die den eventuell Betroffenen stets eine Nachricht übermitteln sollen. Wir sprechen über Schändung mit fremden Objekten. Wir sprechen über die absichtliche Zurschaustellung verstümmelter Leichen. Auch die Spur aus vom Leib gerissenen Kleidungsstücken ist ein klassisches Element.«
»Sprechen Sie auch über Joghurt?«
Sie schüttelte den Kopf. »Aber das ist ein uralter Witz.«
»Und die Sache mit dem Gürtel?«
»Auch die kommt bei uns nicht vor. Aber die meisten Leute hier können Magazine lesen oder sich Pornofilme ansehen.«
»Sprechen Sie darüber, wie die Sexualität des Feindes in Frage gestellt werden kann?«
»Natürlich tun wir das. Unser ganzer Kurs beinhaltet, wie die Sexualität des Feindes in Zweifel gezogen werden kann. Seine sexuelle Orientierung, seine Virilität, seine Potenz, seine Zeugungsfähigkeit. Das ist eine grundlegende Taktik, die sich wie ein roter Faden durch die Kriegsgeschichte zieht. Sie soll zwei Dinge bewirken, nämlich den Feind herabsetzen und unser Selbstwertgefühl steigern.«
Ich schwieg.
Sie betrachtete mich forschend. »Fragen Sie mich, ob ich da draußen die Früchte unseres Unterrichts erkannt habe?«
»So sieht’s aus«, erwiderte ich.
»Sie wollten gar nicht wirklich meine Meinung hören, stimmt’s?«, fragte sie. »Das war alles nur ein Vorwand. Sie wussten bereits, was Sie gesehen hatten.«
Ich nickte. »Ich bin eben ein cleverer Kerl - für einen Cop.«
»Die Antwort lautet nein«, sagte sie. »Ich habe dort nicht die Früchte unseres Unterrichts erkannt. Nicht ausdrücklich.«
»Aber möglicherweise?«
»Möglich ist alles.«
»Sind Sie General Kramer begegnet, als Sie in Fort Irwin waren?«, fragte ich.
»Flüchtig«, antwortete sie. »Wieso?«
»Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?«
»Das weiß ich nicht mehr.«
»Nicht in letzter Zeit?«
»Nein, wieso?«
»Wie haben Sie ihn kennen gelernt?«
»Beruflich.«
»Sie haben auch Angehörige der Panzertruppe unterrichtet?«
»Irwin gehört nicht ausschließlich der Panzertruppe«, entgegnete sie. »Es ist auch das National Training Center, vergessen Sie das nicht. Früher sind die Leute zu uns gekommen. Jetzt kommen wir zu ihnen.«
Ich sagte nichts.
»Überrascht es Sie, dass wir Soldaten der Panzertruppe unterrichtet haben?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Ein bisschen, vielleicht. Würde ich mit einem Siebzigtonnenpanzer herumfahren, hätte ich kaum das Bedürfnis nach einem zusätzlichen psychologischen Vorteil.«
Sie lächelte nicht. »Wir haben sie unterrichtet. Meiner Erinnerung nach hat es General Kramer nicht gefallen, wenn die Infanterie etwas bekam, auf das seine Männer verzichten mussten. Die Rivalität zwischen den Waffengattungen war ziemlich stark.«
»Wen unterrichten Sie jetzt?«
»Die Delta Force«, sagte sie. »Ausschließlich.«
»Danke für Ihre Hilfe.«
»Ich habe heute Nacht nichts gesehen, für das wir die Verantwortung übernehmen müssten.«
»Nicht spezifisch.«
»Es war psychologisch allgemein gültig.«
»Okay.«
»Und mich ärgert, danach gefragt worden zu sein.«
»Okay«, wiederholte ich. »Gute Nacht, Ma’am.«
Ich stand auf und ging zur Tür.
»Welche Absicht steckte wirklich dahinter?«, fragte sie. »Wenn das, was wir gesehen haben, ein Schwindel war?«
»Keine Ahnung«, antwortete ich. »So clever bin ich nun auch wieder nicht.«
Ich fuhr zu meiner Dienststelle zurück, wo mir die Sergeantin mit dem kleinen Sohn einen Kaffee gab. Dann ging ich in
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