08-Die Abschussliste
ein guter Soldat. Schwulsein sollte kein Verbrechen sein.«
»Stimmt«, sagte ich.
»Die Army muss sich wandeln.«
»Die Army hasst Veränderungen.«
»Sie behaupten, dass es dem Zusammenhalt der Truppe schadet«, sagte er. »Sie hätten kommen und sich unsere Gruppe im Einsatz ansehen sollen. Mit Carbone mittendrin.«
»Ich kann’s nicht verschweigen«, sagte ich. »Wenn ich’s könnte, hätte ich’s vielleicht getan. Aber wegen der äußeren Umstände am Tatort bekommt jeder die Message mit.«
»Was? Dort hat’s nach einem Sexualverbrechen ausgesehen? Das haben Sie uns nicht gesagt.«
»Ich wollte’s nicht an die große Glocke hängen.«
»Aber davon hat niemand gewusst. Nicht außerhalb der Einheit.«
»Irgendjemand muss es gewusst haben«, widersprach ich. »Oder der Täter kommt doch aus Ihrer Einheit.«
»Unmöglich«, sagte er. »Völlig ausgeschlossen.«
»Das eine oder das andere muss möglich sein«, sagte ich. »Hatte er außerhalb einen Freund?«
»Nein, niemals.«
»Er hat also sechzehn Jahre lang enthaltsam gelebt?«
Der Typ überlegte.
»Ich weiß es wohl nicht wirklich«, sagte er dann.
»Irgendjemand hat’s gewusst«, wiederholte ich. »Aber ich
glaube tatsächlich, dass es kein Faktor war und jemand die Sache nur so hingestellt hat. Vielleicht können wir zumindest das klarstellen.«
Der Sergeant schüttelte den Kopf. »Das ist dann das Einzige, woran jemand sich erinnert, wenn sein Name fällt.«
»Tut mir Leid«, sagte ich.
»Ich bin nicht schwul.«
»Das ist mir eigentlich egal.«
»Ich habe Frau und Kind.«
Mit dieser Information verließ er mich, und ich befolgte weiter Willards Befehle.
Ich verbrachte die Zeit mit Nachdenken. Am Tatort war keine Waffe entdeckt worden. Keine bedeutsamen Spuren. Keine an einem Busch hängen gebliebene Fasern von Kleidungsstücken, keine Fußabdrücke auf dem Waldboden, keine Hautpartikel des Angreifers unter Carbones Fingernägeln. Das alles ließ sich leicht erklären. Die Waffe hatte der Täter mitgenommen, der vermutlich einen Kampfanzug trug, den das Heeresministerium sehr sorgfältig so anfertigen lässt, dass er sich nicht auflöst und überall Fasern zurücklässt. Textilfabriken in ganz Amerika müssen strikte Qualitätsstandards in Bezug auf Reiß- und Scheuerfestigkeit von militärischen Drillich- und Popelinegeweben einhalten. Der Boden war hart gefroren gewesen, sodass es keine Schuhabdrücke gab. In North Carolina herrschte ungefähr einen Monat lang Frost, und wir befanden uns mitten in dieser Periode. Und der Angriff war überraschend gekommen. Carbone hatte keine Zeit gehabt, sich zu wehren.
Verwertbare Spuren gab es also keine, aber gewisse Vorteile. Wir hatten es mit einer begrenzten Anzahl von Verdächtigen zu tun. Dies war ein geschlossener Stützpunkt, und die Army versteht sich ziemlich gut darauf, jederzeit festzuhalten, wer sich wo aufgehalten hat. Wir konnten mit endlos langen Computerausdrucken beginnen, einen Namen nach dem anderen durchgehen, sie rein binär als möglich oder nicht abhaken, dann eine
Liste zusammenstellen und uns mit Hilfe der universal gültigen Fragen nach Mittel, Motiv und Gelegenheit an die Arbeit machen. Mittel und Gelegenheit würden nicht viel bedeuten. Per Definition würde niemand auf unserer Liste stehen, der keine Gelegenheit zur Ausführung der Tat gehabt hatte. Und in der Army war jeder körperlich in der Lage, mit einem Montiereisen oder einer Brechstange einen Schlag gegen den Hinterkopf eines ahnungslosen Opfers zu führen.
Also würde letztlich alles auf das Motiv hinauslaufen, womit ich angefangen hatte. Warum war er ermordet worden?
Ich blieb eine weitere Stunde sitzen. Ging nirgends hin, tat nichts, rief niemanden an. Meine Sergeantin brachte mir noch einen Kaffee. Ich bat sie, Leutnant Summer anzurufen und ihr vorzuschlagen, mal vorbeizukommen.
Keine fünf Minuten später war sie da. Ich wollte mit ihr eine ganze Latte von Dingen besprechen, aber sie hatte vorausschauend schon eine Liste des Stützpunktpersonals und dazu Fotokopien des Wachbuchs am Haupttor angefordert, damit wir nötigenfalls Namen hinzufügen oder streichen konnten, und dafür gesorgt, dass Carbones Unterkunft bis zur Durchsuchung versiegelt wurde. Außerdem hatte sie ein Gespräch mit seinem Kommandeur vereinbart, das uns ein klareres Bild von seinem privaten und beruflichen Leben verschaffen sollte.
»Ausgezeichnet«, sagte ich.
»Was bedeutet diese Sache mit Willard?«, fragte
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