08-Die Abschussliste
Carbone war«, entgegnete ich.
»Dann halten Sie Ihre verdammte Klappe«, sagte der Hauptmann. »Sir.«
Ich nahm Carbones Personalakte in die Leichenhalle mit, holte Summer von dort ab und ging mit ihr zum Frühstück in den O Club. Wir setzten uns weit von allen anderen entfernt in eine Ecke. Ich aß Rührei, Schinken und Toast, Summer Haferflocken und Obstsalat. Dabei überflog sie die Akte. Ich trank Kaffee, Summer Tee.
»Der Pathologe glaubt, dass er ermordet wurde, weil er schwul war«, sagte sie. »Er findet, das sei offensichtlich.«
»Er täuscht sich.«
»Carbone war nicht verheiratet.«
»Das bin ich auch nicht«, sagte ich. »Sie auch nicht. Sind Sie lesbisch?«
»Nein.«
»Da haben Sie’s.«
»Aber jede Irreführung muss doch auf Tatsachen beruhen, stimmt’s? Ich meine, hätten sie beispielsweise gewusst, dass er ein Spieler war, hätten sie ihm Schuldscheine in den Mund stopfen oder um ihn herum Spielkarten verstreuen können. Dann hätten wir vielleicht geglaubt, der Mord habe was mit Spielschulden zu tun. Sie verstehen, was ich meine? Ohne wahren Kern funktioniert die Sache einfach nicht. Etwas, das sich in fünf Minuten widerlegen lässt, sieht nicht clever, sondern dämlich aus.«
»Was glauben Sie?«
»Er war schwul, und jemand hat es gewusst, aber er ist nicht deswegen ermordet worden.«
Ich nickte.
»Das war nicht der Grund«, sagte ich. »Nehmen wir mal an, er sei schwul gewesen. Er war sechzehn Jahre lang dabei. Er hat den größten Teil der siebziger und die gesamten achtziger Jahre überstanden. Weshalb sollte es jetzt passieren? Die Zeiten ändern sich, sie werden liberaler. Er versteht sich besser darauf, seine Veranlagung zu tarnen, geht mit seinen Kameraden in Striplokale. Kein Grund, dass es jetzt plötzlich geschehen müsste. Es wäre schon früher geschehen. Vor vier Jahren … oder auch acht, zwölf oder sechzehn. Immer dann, wenn er zu einer neuen Einheit versetzt wurde, in der er neue Leute kennen gelernt hat.«
»Weshalb ist er also ermordet worden?«
»Keine Ahnung.«
»Jedenfalls könnte dieser Fall peinlich werden. Genau wie die Sache mit Kramer und dem Motel.«
Ich nickte wieder. »Bird scheint ein Ort voller Peinlichkeiten zu sein.«
»Glauben Sie, dass Sie deshalb hier sind? Carbone?«
»Schon möglich. Kommt darauf an, was er verkörpert.«
Ich wies Summer an, alle vorgeschriebenen Meldungen zu erstatten, und fuhr in meine Dienststelle zurück. Das Gerücht hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Ich fand drei Sergeanten der Delta Force vor, die Informationen wollten. Sie waren typische Angehörige der Special Forces. Klein, mager, drahtig, etwas ungepflegt, eisenhart. Zwei von ihnen waren älter als der dritte Kerl. Der Jüngste trug einen Bart und sah braun gebrannt aus, als wäre er gerade aus irgendeinem heißen Land zurückgekommen. Alle drei marschierten rastlos in meinem Vorzimmer auf und ab. Meine Sergeantin war bei ihnen. Anscheinend leistete sie eine Doppelschicht ab. Sie behielt die drei im Auge, als könnten sie jederzeit gewalttätig werden. Im Vergleich zu ihnen wirkte sie sehr zivilisiert, ja geradezu vornehm. Ich nahm die drei in mein Dienstzimmer mit, schloss die Tür, setzte mich an den Schreibtisch und ließ sie davor stehen.
»Stimmt das mit Carbone?«, fragte einer der beiden Älteren.
»Er ist ermordet worden«, antwortete ich. »Weiß nicht, von wem, weiß nicht, warum.«
»Wann?«
»Gestern Abend. Zwischen neun und zehn.«
»Wo?«
»Hier.«
»Dies ist ein geschlossener Stützpunkt.«
Ich nickte. »Der Täter ist nicht von außen gekommen.«
»Wie man hört, ist er ziemlich schlimm zugerichtet worden.«
»Ziemlich schlimm.«
»Wann wissen Sie, wer’s war?«
»Bald, hoffe ich.«
»Haben Sie schon Hinweise?«
»Nichts Bestimmtes.«
»Wenn Sie’s wissen, erfahren wir’s dann auch?«
»Wollen Sie das?«
»Darauf können Sie Ihren Arsch verwetten.«
»Warum?«
»Sie wissen, warum«, sagte der Kerl.
Ich nickte. Schwul oder nicht, Carbone war Mitglied der furchterregendsten Gang der Welt gewesen. Seine Kumpel würden für ihn einstehen. Ich war einen Augenblick lang etwas neidisch. Würde ich eines Abends spät irgendwo im Wald abgemurkst, bezweifelte ich sehr, dass am nächsten Morgen um acht Uhr drei taffe Kerle in irgendjemandes Dienstzimmer aufkreuzen und Rache schwören würden. Dann nahm ich die drei wieder genau unter die Lupe und dachte: Dieser spezielle Täter könnte verdammt in der Scheiße
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