08-Die Abschussliste
Hauptmann.
»David Brubaker?«, sagte ich. »Den kenne ich.« Was teilweise stimmte. Ich kannte ihn seinem Ruf nach. Er war ein glühender Verfechter der Special Forces. Seiner Überzeugung nach konnte die restliche Army einpacken, nach Hause gehen und die Verteidigung der freien Welt seinen handverlesenen Einheiten überlassen. Vielleicht konnten ein paar Hubschrauberstaffeln weiterhin Dienst tun, um seine Männer zu transportieren. Und im Pentagon sollte eine einzige Dienststelle erhalten bleiben, um die Waffen zu beschaffen, die er haben wollte.
»Wann kommt er wieder?«, erkundigte ich mich.
»Irgendwann morgen.«
»Haben Sie ihn angerufen?«
Der Hauptmann schüttelte den Kopf. »Er würde nichts damit
zu tun haben und auch nicht mit Ihnen reden wollen. Aber ich sorge dafür, dass er zusätzliche Sicherheitsanweisungen herausgibt, sobald wir wissen, um welche Art Unfall es sich gehandelt hat.«
»Von einem Truck zerquetscht«, sagte ich. »Das war die Todesursache. Damit dürfte er zufrieden sein. Der Abschnitt Fahrzeugsicherheit ist kürzer als der Abschnitt Waffensicherheit.«
»Worin?«
»In der Felddienstvorschrift.«
Der Hauptmann lächelte.
»Die benutzt Brubaker nicht.«
»Ich will Carbones Unterkunft sehen«, sagte ich.
»Wozu?«
»Weil ich sie kontrollieren muss. Soll ich unterschreiben, dass es ein Unfall mit einem Truck war, will ich keine verräterischen Kleinigkeiten herumliegen haben.«
Carbone war wie seine Kameraden untergebracht gewesen: allein in einer der ehemaligen Zellen. Ein zwei mal zweieinhalb Meter großes Rechteck mit gestrichenen Betonwänden und einem eigenen Waschbecken und einer Toilette. Die Einrichtung bestand aus einem Feldbett in Standardausführung, einer Seekiste und einem Wandregal, das sich über die gesamte Länge des Bettes erstreckte. Insgesamt eine recht gute Unterkunft für einen Sergeanten.
Summer hatte die Tür mit Absperrband mit dem Aufdruck Police sichern lassen. Ich riss es ab, knüllte es zusammen und steckte es ein. Dann betrat ich den Raum.
Das Special Forces Detachment D unterscheidet sich in Bezug auf seine Auffassung von Disziplin und Uniformität gewaltig vom Rest der Army. Der Umgang mit anderen Dienstgraden ist sehr locker. Kein Mensch weiß mehr, wie man richtig grüßt. Ordentlichkeit ist keine Zier. Uniformität wird nicht verlangt. Fühlt ein Kerl sich in einer seit Jahren getragenen veralteten Arbeitsjacke wohler, trägt er sie. Gefallen ihm Laufschuhe von
New Balance besser als GI-Kampfstiefel, zieht er sie an. Kauft die Army vierhunderttausend Beretta-Pistolen, aber dem Delta-Mann gefällt seine SIG besser, behält er sie.
Deswegen hatte Carbone keinen Schrank voller sauberer, frisch gebügelter Uniformen. Hier gab es keine gerade ausgerichtete Reihe von Unterhemden, die frisch gewaschen und zusammengelegt darauf warteten, angezogen zu werden. Unter seinem Bett standen keine auf Hochglanz polierten Stiefel. Alle seine Kleidungsstücke, nicht allzu viele, türmten sich auf drei Vierteln des Regals über dem Bett. Alle waren im Prinzip olivgrün, aber es gab nicht viele Teile, die ein heutiger Versorgungsunteroffizier erkannt hätte. Ich identifizierte einige Stücke der ursprünglichen Kälteschutzkleidung der Army und zwei ausgebleichte moderne Kampfanzüge. Nichts davon trug Dienstgrad-, Einheits- oder Regimentsabzeichen. Auf einigen alten grünen T-Shirts, die durch vieles Waschen fadenscheinig geworden waren, lag ein dunkelgrünes Halstuch. Neben den T-Shirts sah ich ein sauber aufgerolltes ALICE (All-Purpose Lightweight Carrying Equipment), wie die Army ein Tragekoppel aus Nylongewebe nennt.
Auf dem letzten Viertel des Regals standen eine Reihe von Büchern und ein kleines Farbfoto in einem Messingrahmen. Das Foto zeigte eine ältere Frau, die Carbone ein bisschen ähnlich sah. Zweifellos seine Mutter. Ich erinnerte mich an seine durch einen Messerschnitt zerstörte Tätowierung: ein Adler, der in seinen Krallen eine Schriftrolle mit dem Wort Mutter hielt. Ich musste wieder an meine Mutter denken, wie sie uns in den kleinen Aufzug scheuchte, nachdem wir sie zum Abschied umarmt hatten.
Als Nächstes befasste ich mich mit Carbones Büchern.
Es gab fünf Taschenbücher und ein hohes, schmales Hardcoverbuch. Mein Zeigefinger glitt über die Buchrücken. Ich kannte weder die Titel noch die Verfasser. Alle hatten brüchige konkave Rücken und an den Rändern gebräunte Seiten. Bei allen schien es sich um Abenteuergeschichten zu
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