08 - Ehrenschuld
einen Bericht schreiben und ihn an
Interfax schicken - wobei völlig offen war, ob ihn jemand drucken würde.
Wär' schon komisch, dachte er kopfschüttelnd. Im Grunde kreisten sie bloß
in einer Warteschleife und warteten auf den Befehl und die Gelegenheit, mit
Kimberly Norton zu sprechen. Die Filme und eine Kopie seines Berichts,
beschloß er, würden ihren Weg in das Diplomatengepäck finden. Auf jeden
Fall war es eine gute Übung für Ding - und auch für ihn selbst, gestand
Clark sich ein.
»Dreh den verdammten Krach leiser«, sagte er, und sie gingen zum
Russischen über. Gute Sprachübung.
»Ich sehne mich nach dem heimatlichen Winter«, bemerkte Tschechow. »Ich nicht«, antwortete Klerk. »Wie hast du bloß Geschmack an dieser
schrecklichen amerikanischen Musik gefunden?« fragte er knurrend. »Voice of America«, war die Antwort. Dann lachte die Stimme. »Jewgenij Pawlowitsch, du hast keinen Respekt. Meine Ohren ertragen
diesen verdammten Lärm nicht. Kannst du nicht was anderes spielen?« »Es kann nur besser werden«, meinte der Techniker zu sich selbst,
während er seinen Kopfhörer richtete und den Kopf schüttelte, um den
verdammten gaijin-Lärm loszuwerden. Das traurige war, daß sein Sohn
auch diesen Mist hörte.
Trotz der Dementis, die in den letzten Wochen von allen Seiten geäußert worden waren, war die Realität einfach nicht mehr zu leugnen. Die riesigen, häßlichen Autotransporter, die in mehreren Häfen vor Anker lagen, waren in jeder Nachrichtensendung von NHK die stummen Zeugen. Die japanischen Autohersteller hatten insgesamt hundertneunzehn davon, nicht gerechnet die gecharterten Schiffe unter fremder Flagge, die jetzt ihren Heimathäfen zustrebten. Schiffe, die nie länger stillgelegen hatten, als es dauerte, eine neue Ladung Autos zu übernehmen, lagen jetzt fest wie Eisberge und ließen hohe Ankergebühren auflaufen. Es hatte keinen Sinn, sie zu beladen und loszuschicken. Es würde Wochen dauern, die Schiffe zu entladen, die in amerikanischen Häfen noch auf einen Anlegeplatz warteten. Die Besatzungen nutzten die Zeit zu planmäßigen Wartungsarbeiten, aber sie wußten, daß sie nach Erledigung dieser Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nichts mehr zu tun haben würden.
Der Effekt setzte sich lawinenartig fort. Es hatte wenig Sinn, Autos herzustellen, die man nicht verschiffen konnte. Es fehlte buchstäblich der Platz, um sie abzustellen. Als die riesigen Abstellplätze in den Häfen und die Bahnwaggons auf ihren Nebengleisen und die Plätze bei den Autofabriken voll waren, hatte man einfach keine Wahl mehr. Ein halbes Dutzend TV-Teams war zur Stelle, als der Produktionsleiter bei Nissan nach oben langte und auf einen Knopf drückte. Der Knopf löste über die ganze Länge des Montagebandes Klingelzeichen aus. Normalerweise hieß das, daß irgendwo ein Problem aufgetreten war. Jetzt bedeutete es, daß das Band abgestellt wurde. Vom Anfang des Laufbandes, wo die Rahmen auf das Förderband gesetzt wurden, bis zum Ende, wo ein marineblaues Auto mit geöffneter Tür darauf wartete, daß ein Fahrer es nach draußen bringen würde, standen die Arbeiter untätig da und schauten sich an. Sie hatten gedacht, daß dies niemals eintreten könne. Für sie bestand die Realität darin, zur Arbeit zu erscheinen, ihre Aufgaben zu erfüllen, Teile zu montieren, zu testen und auf einer Liste abzuhaken - sehr selten fanden sie ein Problem -, und das alles immer wieder in endlosen, abstumpfenden, aber gut entlohnten Stunden, und in diesem Augenblick schien es ihnen, als habe die Erde aufgehört, sich zu drehen. Irgendwie hatten sie es gewußt. Die Zeitungen und die Fernsehsendungen, die Gerüchte, die sich am Band sehr viel schneller ausbreiteten, als die Autos auf ihm vorangekommen waren, die Mitteilungen der Geschäftsleitung. Trotz allem standen sie jetzt wie betäubt herum, als hätte sie ein harter Schlag ins Gesicht getroffen.
Im Saal der bedeutendsten Börse ihres Landes hielten die Händler kleine tragbare Fernseher in der Hand, eine Neuentwicklung von Sony, die sich aufklappen ließ und die in die Gesäßtasche paßte. Sie sahen den Mann den Alarm auslösen, sahen die Arbeiter ihre Tätigkeit einstellen. Was das schlimmste war: Sie sahen den Ausdruck auf ihren Gesichtern. Und dies war erst der Anfang, das wußten die Händler. Die Zulieferer würden aufhören, weil die Autohersteller ihnen ihre Erzeugnisse nicht mehr abnehmen würden. Die metallerzeugenden Betriebe würden ihre Produktion drastisch
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