08 - Ehrenschuld
herunterfahren, weil ihre Hauptkunden dichtgemacht hatten. Elektronikfirmen würden kürzertreten und inländische wie ausländische Märkte verlieren. Ihr Land war völlig vom Außenhandel abhängig, und Amerika war ihr wichtigster Handelspartner, Ausfuhren von einhundertsiebzig Milliarden Dollar in ein einziges Land, mehr als sie in ganz Asien verkauften, mehr als sie in ganz Europa verkauften. Sie importierten zwar für rund neunzig Milliarden aus Amerika, aber der Überschuß, der im Hauptbuch als Gewinn erschien, betrug reichlich siebzig Milliarden Dollar, und das war Geld, das ihre Wirtschaft brauchte, um zu funktionieren; Geld, auf das ihre ganze Volkswirtschaft zugeschnitten war.
Für die Arbeiter auf dem Fernsehbildschirm hatte die Welt bloß aufgehört, sich zu drehen. Für die Händler war möglicherweise das Ende der Welt gekommen, und was sich in ihren Gesichtern malte, war kein Schock, sondern blanke Verzweiflung. Das Schweigen dauerte nicht länger als dreißig Sekunden. Das ganze Land hatte dieselbe Szene im Fernsehen beobachtet, mit derselben grausigen Faszination, gedämpft durch die hartnäckige Weigerung, zu glauben, was sie sahen. Dann gingen die Telefone wieder los. Manche Hand, die nach dem Hörer griff, zitterte. Der Nikkei-Index würde an diesem Tag erneut sinken und bei Börsenschluß bei einem Wert von 6540 Yen liegen, rund einem Fünftel des Werts, den er noch vor wenigen Jahren gehabt hatte.
Die Nachrichtensendungen aller amerikanischen Sender begannen mit der Einspielung desselben Bandes, und in Detroit waren es organisierte Automobilarbeiter, die selbst erlebt hatten, wie Fabriken stillgelegt wurden, die nun die Ratlosigkeit in den Gesichtern sahen, die das schrille Signal hörten und sich erinnerten, was sie selbst empfunden hatten. Ihr Mitgefühl war sicherlich gedämpft durch die Aussicht, selbst wieder Beschäftigung zu finden, doch konnten sie sich unschwer ausmalen, was ihre japanischen Kollegen jetzt empfanden. Es war sehr viel leichter, sie nicht zu mögen, wenn sie arbeiteten und Amerikanern die Arbeit wegnahmen. Jetzt waren auch sie zu Opfern von Kräften geworden, die kaum einer von ihnen wirklich begriff.
Die Reaktion an der Wall Street war für den Uneingeweihten überraschend. Bei allen theoretischen Vorteilen, die er der amerikanischen Wirtschaft verhieß, war der Trade Reform Act im Augenblick ein Problem. Viele amerikanische Unternehmen waren mehr oder weniger auf japanische Erzeugnisse angewiesen, und wenngleich amerikanische Arbeiter und Unternehmen theoretisch die Möglichkeit hatten, hervorzutreten und das lose Zügel zu ergreifen, fragten sich doch alle, wie ernst die Maßnahmen des Trade Reform Act gemeint waren. Sollten sie von Dauer sein, würde es sich für Investoren lohnen, ihr Geld in Firmen zu stecken, die gute Aussichten hatten, das Defizit an benötigten Erzeugnissen zu decken. Was aber, wenn die Regierung das Gesetz lediglich als Hebel benutzte, um den japanischen Markt zu öffnen, und die Japaner sich rasch bereit fanden, in ein paar Punkten nachzugeben, um den Gesamtschaden zu begrenzen? In diesem Fall würden Unternehmen, die schon bereitstanden, die Regale der japanischen Supermärkte mit ihren Erzeugnissen zu füllen, die bessere Anlagemöglichkeit bieten. Die knifflige Aufgabe war, Unternehmen ausfindig zu machen, die in der Lage sein würden, beide Möglichkeiten wahrzunehmen, denn auf der einen wie auf der anderen Seite konnte man große Verluste erleiden, besonders nach dem ersten sprunghaften Anstieg der Aktienkurse. Gewiß würde der Dollar gegenüber dem Yen an Wert gewinnen, doch die Fachleute am Rentenmarkt stellten fest, daß ausländische Banken sehr schnell reagiert und mit ihren Yen-Guthaben amerikanische Staatspapiere gekauft hatten in der offenkundigen Erwartung, daß es zu großen Wertverschiebungen kommen werde, aus denen sich mit Sicherheit kurzfristig Gewinne erzielen lassen würden.
Angesichts der Ungewißheit gaben amerikanische Aktien tatsächlich nach, zur großen Überraschung vieler, die ihr Geld an der Wall Street angelegt hatten. Sie hatten es überwiegend in Beteiligungen an Investmentfonds gesteckt, weil es für kleine Anleger schwierig, wenn nicht unmöglich war, die Entwicklung an der Börse zu verfolgen. Es war sehr viel sicherer, sein Geld von Profis verwalten zu lassen. So war es dazu gekommen, daß an der New Yorker Börse mehr Investmentfonds als Aktien gehandelt wurden, und sie wurden allesamt von Fachleuten
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