08 - Ehrenschuld
es Probleme wie in jeder amerikanischen Stadt, aber es war längst nicht so schlimm wie das, was er im Fernsehen sah oder in Fachzeitschriften las, die in der Station auslagen. Um Viertel nach acht fuhr er rückwärts auf die stille Straße hinaus und trat seine Fahrt an, zunächst zur U.S. Route 11E. Er war ausgeruht und wach, die gewohnten zwei Tassen Frühstückskaffee taten ihre Wirkung und vertrieben die Spinnweben einer ruhigen Nacht, soweit man von Ruhe sprechen konnte, wenn ein Säugling mit ihm und seiner Frau Candace das Schlafzimmer teilte. Fünfzehn Minuten später bog er auf den Interstate Highway 81 ein und fuhr in Richtung Süden, die Morgensonne im Rücken.
An diesem Samstagmorgen herrschte nur wenig Verkehr, und anders als die meisten Polizisten raste Denton nicht, jedenfalls nicht, wenn die Familie dabei war. Er fuhr gleichmäßig mit knapp hundertzehn Stundenkilometern, gerade weit genug über dem Tempolimit von hundert Stundenkilometern, um ihm das leichte Kribbeln einer kleinen Gesetzesübertretung zu vermitteln. Die Interstate 81 war eine typische amerikanische Bundesstraße, breit und glatt schlängelte sie sich durch das Bergland, das den Drang der europäischen Siedler nach Westen zum ersten Mal aufgehalten hatte. Bei New Market vereinigte sich die 81 mit der I-40, und Denton fädelte sich in den westwärts fahrenden Verkehr ein, der aus North Carolina kam.
Bald würde er in Knoxville sein. Ein Blick in den Rückspiegel sagte ihm, daß die beiden Töchter sich inzwischen in einem Dämmerzustand befanden, und seine Ohren verrieten ihm, daß es Matthew genauso ging. Auch Candy Denton rechts neben ihm döste. Ihr kleiner Sohn hatte noch nicht gelernt, die Nacht durchzuschlafen, und das forderte seinen Tribut von seiner Frau, die schon lange nicht mehr sechs Stunden am Stück geschlafen hatte, eigentlich seit Matt geboren war. Seine Frau war zierlich, und ihr schmächtiger Körper hatte unter den letzten Phasen der Schwangerschaft gelitten. Candys Kopf lehnte am rechten Seitenfenster, während sie ein wenig Schlaf zu ergattern suchte, bevor Matthew aufwachen und bekunden würde, daß er wieder Hunger hätte, aber wenn sie ein bißchen Glück hatten, würde er sich erst melden, wenn sie in Nashville angekommen waren.
Der einzige schwierige Teil der Strecke, wenn man davon überhaupt sprechen konnte, war in Knoxville, einer mittleren Großstadt, die überwiegend am Nordufer des Tennessee lag. Sie war immerhin so groß, daß sie eine innere Ringstraße hatte, die I-640, aber Denton mied sie und fuhr statt dessen die direkte Strecke nach Westen.
Es war endlich wieder wärmer geworden. In den letzten sechs Wochen war ein Schnee- und Hagelsturm dem anderen gefolgt, und Greeneville hatte seine Haushaltsmittel für Streusalz und für die Überstunden der Arbeiter bereits ausgeschöpft. Er war zu fünfzig kleineren und zwei schweren Verkehrsunfällen gerufen worden. Am meisten bedauerte er jetzt, daß er mit dem neuen Cresta nicht mehr in der Waschanlage gewesen war. Über den hellen Lack zogen sich Salzstreifen, und er war froh, daß der Wagen »standardmäßig« Unterbodenschutz hatte, denn sein uralter Pick-up, der noch in der Einfahrt stand, rostete vor sich hin. Davon abgesehen, schien es ein gutgemachtes kleines Auto zu sein. Etwas mehr Beinfreiheit wäre nett gewesen, aber es war Candys Wagen, nicht seiner, und für sie reichte der Platz wirklich aus. Das Auto war leichter als sein Streifenwagen und hatte nur halb soviel PS. Dadurch vibrierte es ein bißchen mehr, und wenngleich die elastische Motoraufhängung die Schwingungen dämpfte, waren sie trotzdem noch da. Na ja, sagte er sich, das trug wenigstens dazu bei, daß die Kinder schliefen.
Hier mußten sie noch mehr Schnee gehabt haben. Das sah er daran, daß sich in der Mitte seiner Fahrspur Steinsak angesammelt hatte, einem sandigen Pfad vergleichbar. Ein Jammer, daß sie soviel davon streuen mußten. Es machte die Autos wirklich kaputt. Aber nicht seines, dessen war Denton sich sicher, der erst einmal alle Angaben über das Fahrzeug studiert hatte, ehe er sich entschied, seine Frau mit einem roten Cresta zu überraschen.
Die Berge, die sich quer durch diesen Teil von Amerika ziehen, heißen Great Smokies, ein Name, den ihnen, wie die Leute hier sagten, Daniel Boone höchstselbst verliehen hatte. In Wirklichkeit war es ein einziger Gebirgszug, der sich von Georgia bis Maine und noch darüber hinaus erstreckte, und in jedem Bundesstaat
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