08 - Ehrenschuld
sehr tapferer Raizo, der es geschafft hatte, seine Tränen zurückzuhalten, einerseits in dem Glauben, daß er sie wiedersehen würde, und zugleich wohlwissend, daß er sie nie mehr sehen sollte.
Sie hatten sie alle getötet, diese Amerikaner, hatten seine Familie zerstört, hatten sie ermuntert, ihr Leben wegzuwerfen, von den Klippen hinunter in die gierige See hinein, weil Japaner, in Uniform oder nicht, für die Amerikaner bloß Tiere waren. Yamata erinnerte sich, wie er den Radioberichten von der Schlacht gelauscht hatte, wie die »Wilden Adler« von der Kido Butai die amerikanische Flotte zerschlagen hatten, wie die unbesiegbaren Soldaten des Kaisers die verhaßten amerikanischen Marines ins Meer zurückgeworfen hatten, wie sie sie später in ungeheurer Zahl hingeschlachtet hatten in den Bergen der Insel, die nach dem Ersten Weltkrieg von den Deutschen zurückgefordert worden war, und schon damals hatte er gewußt, daß es nichts nützt, so zu tun, als glaube man an Lügen, denn es mußten Lügen sein, trotz der tröstenden Worte seines Onkels. Und bald waren die Radioberichte zu anderen Dingen übergegangen, zu den siegreichen Schlachten gegen die Amerikaner, die sich den heimatlichen Inseln immer mehr näherten, und er erinnerte sich der verständnislosen Wut, die ihn überfallen hatte, als sein großes und mächtiges Land sich außerstande gesehen hatte, die Barbaren aufzuhalten, des Bombenterrors, erst bei Tag und dann bei Nacht, in dem sein Land, eine Stadt nach der anderen, niedergebrannt wurde. Die rote Glut am Nachthimmel, mal nah, mal fern, und die Lügen seines Onkels, der sie zu erklären versuchte, und am Ende die Erleichterung auf dem Gesicht des Mannes, als alles vorbei war. Nur daß es für Raizo Yamata keine Erleichterung gewesen war, nicht nach dem Verlust seiner Familie, und schon als er dem ersten Amerikaner begegnet war, einem riesengroßen Kerl mit roten Haaren und Sommersprossen auf der milchigen Haut, der ihm freundlich den Kopf getätschelt hatte, wie man es bei einem Hund tat, schon damals hatte er gewußt, wie der Feind aussieht.
Es war nicht Matsuda, der ihm antwortete. Er konnte es nicht sein. Es mußte ein anderer sein, einer, dessen Unternehmen noch ungeheuer stark war oder zumindest stark erschien. Es mußte außerdem einer sein, der noch nie seine Ansichten geteilt hatte. Die Regel war ebenso wichtig, wie sie unausgesprochen blieb, und wenn sich die Blicke auch nicht umwandten, so doch die Gedanken. Der Mann blickte hinunter auf seine halbleere Teeschale - Alkohol war an diesem Abend unangebracht - und dachte über sein Schicksal nach. Er sprach, ohne aufzublicken, weil er befürchtete, in den Augen derer, die um den schwarzen Lacktisch versammelt waren, auf den gleichen Ausdruck zu treffen.
»Wie ließe sich das erreichen, was Sie vorschlagen, Yamata-san?«
»Kein Scheiß?« fragte Chavez. Er sprach russisch, weil man hier in Monterey nicht englisch sprechen durfte, und er hatte noch nicht gelernt, wie diese Wendung auf japanisch lautete.
»Vierzehn Agenten«, erwiderte Major Oleg Juriewitsch Ljalin, KGB (außer Diensten), auf eine so nüchterne Art und Weise, wie sein Stolz es ihm erlaubte.
»Und sie haben Ihr Netz nie reaktiviert?« fragte Clark ungläubig. »Sie konnten es nicht.« Ljalin tippte sich lächelnd an den Kopf. » THISTLE war meine Schöpfung. Es erwies sich als meine
Lebensversicherung. «
Kein Scheiß, hätte Clark beinahe gesagt. Daß Ryan ihn lebendig herausgeholt hatte, war mehr als ein Wunder. Ljalin war mit der beim KGB üblichen Sorge für ein schnelles Verfahren wegen Landesverrats verurteilt worden, hatte in der Todeszelle gesessen und genau gewußt, wie es normalerweise lief. Als man ihm gesagt hatte, seine Hinrichtung sei in einer Woche, war er ins Büro des Gefängniskommandanten marschiert, wo man ihn von seinem Recht als Sowjetbürger informierte, den Präsidenten direkt um eine Begnadigung zu ersuchen, woraufhin man ihn aufgefordert hatte, einen entsprechenden handgeschriebenen Brief aufzusetzen. Weniger Gewiefte hätten diese Geste vielleicht für aufrichtig gehalten, aber Ljalin wußte es besser. Sie sollte die Hinrichtung erleichtern. Nachdem der Brief versiegelt war, würde man ihn die Zelle zurückbringen, und aus einer offenen Tür zu seiner Rechten würde der Scharfrichter hervorstürzen, ihm eine Pistole an den Kopf setzen und abdrücken. Daher war es nicht gerade erstaunlich, daß seine Hand gezittert hatte, als sie zum Kugelschreiber
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